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Doch, Nordsee ist Mordsee
oder: Querab
(2008)
Das hier kenne ich nicht. Das hier ist ein schwarzes brüllendes Chaos, und ich bin
mitten darauf, mit einem Schiff. Die Nordsee soll das sein? Die Nordsee, die ist doch ein bisschen Wasser auf einer Postkarte. Oder sie ist etwas Graues vor einem Deich mit viel Wind und Regen, von wo ich dann wieder weggehe. Oder sie ist etwas Wasser vor
einer Deichwiese, in die ich meine Füße hänge, so lange sie noch da ist, denn alle paar Stunden geht sie wieder weg, sagt man. Das ist die Nordsee. Dachte ich.
Nein, das hier ist die Nordsee, die echte und die wahre, und sie ist fast zuviel für das Schiff. Es ist ein großes Schiff, es fährt nach England, und ich bin mit Isabella seit
gestern Abend darauf. Keine Ahnung, ob das noch so stimmt. Bei Windstärke 12 ist das alles anders. Ich gehe jetzt durch einen Schiffsgang, weil es hier zum Oberdeck geht, von dem ich die Nordsee sehen will, die ich nicht kenne. Hinter den Bullaugen ist nämlich ein schwarzes brüllendes Chaos anstelle der Nordsee, und es ist nicht die Nordsee von den Postkarten und von vor dem Deich und von um meinen Füßen. Um das zu klären gehe ich hier durch den Schiffsgang. Nein, ich gehe gar nicht, ich versuche zwar zu gehen, aber zu gehen ginge überhaupt nicht. Da ist zwar der Boden ganz deutlich, aber das ist kein Boden, denn so bald ich drauftreten will, kommt er mir entgegen, und ich muss auf der Wand weitergehen. Wenn es nur die eine Wand wäre. Aber jetzt ist mein Fuß auf der Wand und mein anderer tritt in die Ritze, die nicht zum drin Gehen
aussieht, und ich weiß nicht genau, ob es hier ein Geradeaus gibt.
Links oder schräg oben oder unten steht eine Tür offen. Weil es mich gerade wieder nach rechts oder kopfüber zieht, wird die Öffnung zu einer Falltür. Ich muss mich in den Fallenrahmen hängen. Da hänge ich jetzt. Schräg unten pendelt eine Kabine, ein dunkles Bullauge mit schwarzem brüllendem Chaos auf der anderen Seite. Wenn ich jetzt loslasse, knalle ich da mitten drauf. Das habe ich nicht vor. Also kralle ich lieber meine Hände in den Rahmen und sehe mir die Sache an. Irgendwo zwischen Bett und Wand dieser Kabine hängt nämlich ein Mann. Um ihn wickelt sich eine Bettdecke, oder umgekehrt, aber wo und wie er sich um sie wickelt, könnte ich nicht sagen, denn Mann und Decke rollen jetzt nach vorne oben überm Bullauge, und ich weiß nicht, ob das nun oben oder unten oder schräg hinten ist. Querab sagen die Seeleute dafür, glaube ich. Die müssen es ja wissen. "Na, haben Sie denn noch keine Seebeine?", frage ich querab nach unten hinten. Der Mann glotzt mich an. Es sieht erstaunlich aus, wie der Kopf von wo glotzt, während sich der Mann um diese Bettdecke wickelt, oder umgekehrt. Ein Buch mit englischem Titel rutscht querab vorbei,
How to learn to feel comfortable steht groß und rosigrot drauf. Spontan glaube ich nicht sehr an den Nutzen des Buchs.
Da passiert wieder etwas. Die ganze Sache kippt querab. Ich kippe und der Mann kippt mit. Alles kippt querab. Das Bullauge mit seinem schwarzen brüllenden Chaos kippt mit, denn wohin sollte es sonst. Der Mann fällt mir samt Bettdecke entgegen. Ich lasse fast elegant eine Hand los und schwinge um die Türöffnung, die jetzt irgendwie zur Luke in Decke oder Boden wird, und das Mann-Bettdeckenbündel hält sich nicht fest, knallt an die Schiffsgangwand neben mir und kotzt sich voll. Nicht mich kotzt er voll. Der Unterschied ist wichtig. "Santé", sage ich zum Bündel und hangele mich weiter durch den Schiffsgang nach querab. Bloß den Gestank ignorieren. Mein Ziel ist die Tür am Ende des Gangs - das wäre ein netter Romantitel oder mindestens eine Gedichtzeile, denke ich gegen den Gestank, aber zu schreiben ginge hier nicht, denn wie sollte man sich hinsetzen?
Irgendwie gelange ich zu dieser Tür. Ich schiebe sie auf. Sie ist schwer wie ein Tresor. Ein Windhieb trifft mich wie eine Eisenbahn. Wie fünf Eisenbahnen aus der
Gefriertruhe. Die Tür schlägt jetzt in die Senk- oder Waagerechte, Gebrüll stößt mir auf den Schädel, aber ich will da durch, ich will da hinaus, denn da ist es interessant und da ist die feine Windstärke 12 und die echte und wahre Nordsee, wer weiß. Ich kralle mich an die Klinke, die Tür schwingt sich ab und ich schwinge mit, ich schwinge mit der Tür hinaus. Da ist keine Luft, da ist nur ein schwarzes Gebrüll, das mir in den Schädel knallt. Vorsicht, da ragt eisernes Gestänge mitten im Gebrüll, bloß nicht dagegenfallen, ich greife hinüber und verhake Arme und Beine, meine Hand klebt fast am Eisen fest, so eisig ist es. Ist das hier schon die Nordsee? Die Tür fällt zurück und ist weg, auf Wiedersehen Tür, du warst ein treuer Freund. Ich drehe den Kopf. Da ist ein riesiger gelber Schornstein, vom Flutlicht angestrahlt wie ein Denkmal, oben daran hängt ein steifer grauer Teppich waagerecht zur Seite. Was wohl hier waagerecht ist. Kann das sein? Es ist die Rauchfahne, es ist eine verdammt komische Rauchfahne, solch eine Rauchfahne habe ich noch nie gesehen. Winziges Schiffchen kämpft gegen böse Nordsee, der Käptn verfeuert das ganze teure Dieselöl auf einen Schlag, unverkennbar. Und ich kriege überhaupt keine Luft, ich kann nicht luftholen. Auf meiner Lunge liegen zwölf Mehlsäcke aus Nordsee. Der Weltraumseriengucker in mir denkt, nanu, hier soll keine Luft sein?, aber es brüllt einem doch die Ohren voll wie zwölftausend Klingonen, also was denn sonst als Luft könnte so dröhnen, hm? Das muss stimmen. Wehe, wenn nicht. Ich stecke das Gesicht in meine Jacke und zwinge meine Lunge zum Aufblähen, so muss es und geht es, denn ein bisschen atmen muss der Mensch eben ab und zu.
Mit drei Mundvoll Nordseeluft in den Lungen sehe ich mir an, was das hier eigentlich ist. Denn das hier kenne ich nicht. Es ist das
schwarze brüllende Chaos, und ich bin mitten darin. Die Welt jenseits des gelben Schornsteindenkmals ist
schwarz. Nein, das stimmt nicht. Sie ist
knalleschwarz, schwärzer als Piranesi seine gewaltig schwärzesten Schatten gemacht hat, sie ist unfassbar schwärzer als ein schwuler Joop-Samtanzug um Mitternacht, sie ist jenseitig tiefschwärzer als überhaupt Alles. Da drin im Schwarzen brüllt und orgelt es zum Kopfabreißen und man kann nicht atmen und es ist kalt wie die siebenfache Arktis. - "Wohlan, du finstre Verderbnis, von wannen bist du?!?", schreie ich, aber es ist nichts zu hören, man könnte hier so laut brüllen wie Sepultura in ihrer besten Zeit, und es wäre bloß ein Säuseln. Luft habe ich nach meiner ungehörten Frage keine mehr. Es wird höchste Zeit, um hier wegzukommen. Irgendwo müsste ein Schiff sein. Aber ich muss zur richtigen Seite wegkommen, bitte nicht zur falschen, denn das Deck kippt jetzt, es kippt, es kippt weg und wird zur Wand, aber die geht runter, die Wand geht runter und sie kippt weg und ich hänge ganz oben an der Wand und sehe runter und habe keine Luft mehr und alles kippt weg, und unten brüllt der weltraumschwarze Abgrund und ich kralle mich an diesen gefrorenen Eisenstreben fest und wäre ganz gerne ganz woanders. An meine Türklinke komme ich nicht mehr, keine Chance, die ist jetzt auf der anderen Seite. Also ziehe ich wieder ein bisschen Luft aus meiner guten alten Jacke und zwänge mich durch das Eisengestänge oben auf der Wand über dem schwarzen brüllenden Chaos, das ich jetzt kenne. Bloß nicht hängenbleiben oder festfrieren oder den Kopf stoßen oder womöglich fallen. Und es fällt endlich auf: Es ist ja gar nicht so gut, was ich hier mache! Was mache ich denn hier? Wieso bin ich nicht bei Isabella? Wieso sehen wir uns nicht drinnen eine Postkarte von der Nordsee an? Ich quetsche mich durchs Eisengestänge und da ist eine andere Tür, die Klinke sitzt in Griffweite. Ich klammere mich fest, bis das Ganze einigermaßen senkrecht aussieht, werfe einen Abschiedsblick ins schwarze brüllende Chaos, von dem ich jetzt weißgott genug habe, stemme mich auf den Türrahmen, reiße an der Klinke, reiße weiter, reiße mehr, denn was zu ist, das ist zu. Nein, es ist nicht ganz zu. Ein Spalt Helligkeit erscheint. Noch ist Polen nicht
verloren. Ich reiße weiter an Tür, Leben und dem Rest. Die Faust in den Spalt, Arm und Kopf hinein und schon bin ich drin im Schiff und im Hellen, die Tür schleudert meine Füße hinterher, fein, die brauche ich ja, und das schwarze Gebrüll hört auf wie mit der Schere abgeschnitten.
Ich hänge über einer Treppe, unten hinten oder seitlich ist ein Salon. Da halten sich ein paar Leute fest und starren mich an. - "Is here the long querab way to Tipperary?", rufe ich zu den Leuten, es klingt dumpf, meine Ohren habe ich draußen gelassen. Egal, der Rest ist ja wieder da. Über oder unter dem Geländer arbeite ich mich die Treppe entlang oder herauf und will durch den Salon, denn hinten erkenne ich meinen Schlafsack, und Isabella leuchtet festgeklammert daneben. Es ist noch weit bis dahin, da ist der offene Raum des Salons ganz ohne Balken, und der Teppichboden mit seinen rot-beigen Rachenmustern tut nur so, als wäre er unten. Ich warte, bis der Salon passend querab kippt, lasse das Geländer los, falle durch den Salon und lande genau neben Isabella. Gut gezielt. Langsam bekommt man Übung. Isabella starrt mich an. Sie ist ja um Welten besser als jedes Chaos. Das hatte ich bis jetzt noch gar nicht so gesehen. "Warst du lustwandeln oder wie?", fragt sie. "Ich habe ein bisschen spazieren gehangen und soll dich schön vom Taifun grüßen", sage ich, hole aus Gewohnheit Luft und halte mich an ihr fest. "Jetzt sag nur nicht, dass du wirklich da draußen warst", murmelt Isabella. "Doch", sage ich, "aber es lohnt sich nicht sehr, da ist nur schwarzes Entsetzen und ein ultimater Abyssus, der einen gierschlündig auffressen will, von der verderblichen Todeskälte und der entsetzlichen Verzweifelung ganz zu schweigen". - "Ach das nur", lacht Isabella, "ich hab versucht, aufs Klo zu gehen, aber versuch mal, auf einem kaputten Trampolin siebzehn kotzenden Mitmenschen höflich auszuweichen. Am Ende ging's, aber frag mich nicht, wie jetzt dieses Klo aussieht". - "Du bist eine echte Seemannsbraut", flüstere ich ihr ins Ohr, "nur dein Bild in meinem Matrosenherzen hat mich vom Cap Hoorn wieder heimgeführt". - "Hauptsache, du hattest deinen Spaß", gähnt Isabella.
Wir kriechen in die Schlafsäcke und verkeilen uns zwischen den festgeschraubten
Gestängen der Sessel und umeinander, was viel gemütlicher ist, als es klingt. Als ich die Augen schließe, fühlt es sich an, als wären wir auf einem friedlichen Teppich, den einer wie eine Wiege hin und her, schräg und querab schaukelt, extra zum Einschlafen.
So kannte ich das auch noch nicht.
Die Kachel von der rue Saint-Antoine
(2006)
1.
0:30 Uhr
Ich bin 23 und weiß, wie es ist, tot zu sein. Im Schlaf. Aber es
ist kein Schlaf. Ich liege im Bett, bin tot und weiß, tot zu sein. Ich war immer tot. Nur ein Mal nicht. Dann
zog sich der Schlaf zusammen, das Herz fing an zu drehen und zu rumpeln, die Lunge
keuchte, der Bauch zog sich zusammen und die Gedanken rasten. Da merkte ich, dass ich jetzt nicht ganz tot
war. Vorher war ich es, da war alles schwarz und kalt und eng und ich war tot. Das war alles.
Man kann niemandem sagen, wie es ist, tot zu sein. Denn es gibt niemanden. Menschen sind Säcke aus Haut, Haaren und Klamotten, mit denen ich nichts zu tun habe und von denen ich nichts verstehe. Wenn ich es mit den Gesichtern und Gesten von James Stewart, Jean-Louis Barrault oder Pam Grier vergleiche, weiß ich ungefähr, was die Säcke tun und was ihre Gesten bedeuten könnten. Sodass ich bei dem Sack mit Schlips, dem das Haus gehört, meine Miete bezahle, ab und zu etwas zu essen einkaufe und in die Uni zu den Säcken mit Brillen gehe, um so zu tun, als wäre ich nicht
tot.
Ich war ein Mal nicht tot. Vor acht Wochen habe ich gelebt. Es war unbeschreiblich und nicht auszuhalten. Denn vor acht Wochen kam ich mit Estella zusammen. Niemand außer Estella kennt mich, und niemanden außer Estella kenne ich. Niemanden außer Estella kann ich so ansehen. Ich weiß nur bei Estella, dass das jemand ist. Das ist unbeschreiblich und überhaupt nicht auszuhalten. Jetzt bin ich nicht mehr mit Estella zusammen. Wir wohnen seit sechs Wochen in der selben Wohnung, ich im kleinen Zimmer, sie im großen, und dazwischen ist eine Schiebetür, die seit drei Wochen zugestellt ist. Von der Seite ihres Zimmers aus ist die Schiebetür zugestellt, mit ihrer blauen Stahlkiste, über die eine Dose Bratheringe ausgekippt ist, damals, vor sieben Wochen, als wir in ihrer alten Mansarde miteinander schliefen. Was unbeschreiblich und unbeschreiblich schön war und was ich nicht aushalten oder denken kann, ohne zu schreien, und ich darf nicht schreien, sonst bin ich nicht tot. Es war eine große Dose Bratheringe und sie war aus Blech, und als sie runterfiel, auf Estellas blaue Stahlkiste, muss das Zimmer gebebt haben, und erst der Gestank nach Bratheringsfett in der kleinen Mansarde. Wir haben nichts davon gemerkt. Und auch das darf ich nicht denken, denn falls ich es denke, muss ich gleich denken, wie unbeschreiblich es war, mit Estella dort zu
sein.
2.
01:30 Uhr
Ich bin 23 und es ist kaum das Totsein von mir übrig. Da ist die zugestellte Schiebetür, und nebenan hinter der zugestellten Schiebetür liegt Estella, die der einzige Mensch ist, mit einem im Bett, der Ernst heißt und gestreifte Hosen trägt. Vorhin trug er welche, als ich ihn im Korridor sah. „Das ist Ernst“, sagte Estella, „ich hab dir von ihm erzählt“. – „Hallo“, sagte Ernst. Und sie machten die Tür zu. Ich liege da und die Schatten kriechen und ich höre die Schatten und irgendwas von hinter der zugestellten Schiebetür, obwohl ich die Zähne so zusammenbeiße, dass das Blut im Schädel wummert. Weg kann ich nicht, ich muss hier bleiben, nicht ganz tot, ich kann mich nicht bewegen, alle Knochen sind im Weg. Die Schatten kratzen an den Wänden und ich bin nicht ganz tot. Und es hört nicht
auf.
Die Schatten kratzen und kriechen, und der Schädel wummert. Es hat schon sehr lange nicht aufgehört. Mir fällt ein, dass es Bücher darüber gibt, über so etwas wie Estella und Ernst und mich nebenan. Gibt es. Das fällt mir ein, und ich schlinge mich um den Einfall, um nicht zu spüren, dass ich nicht ganz tot bin. Und weil er so sensationell fetzig ist. Das habe ich gelesen.
Sensationell fetzig. Auf der Rückseite eines der Bücher, die es darüber gibt. Ich weiß nicht, was
sensationell fetzig ist. Eingefallen sind mir diese sensationell fetzigen Beziehungsstrategiebücher über Beziehungsstrategien, die ich überflogen habe und die man anwenden soll. So stand es in den Klappentexten. Ich sehe die Bücher im Finstern vor mir. Es waren kleine Bücher, meist bunte und dünne, und sie kosteten nicht viel. Es gibt sie in einer Buchhandlung. Ich muss nachsehen, was in den Büchern von Schiller, Lévinas, Hölderlin, Finkielkraut und Bellow darüber steht. Ich habe die anderen Bücher, über sensationell fetzige Strategien, die nicht viel kosten, vorgestern in einer Buchhandlung rumliegen sehen. Auf den Rückseiten oder in den Klappentexten steht, dass man sie kaufen, aufschlagen und lesen soll, so bald jemand erscheint, der Ernst heißt. Es stand so auf den Rückseiten oder in den Klappentexten, aber ohne den Namen. Ernst ist niemand. Und jetzt ist es mitten in der Nacht, jetzt kann ich kein solches Buch kaufen, nicht einmal von Hölderlin oder Bukowski. Bücher über Filme auch nicht. Von denen ich viele Estella geschenkt habe. Sie wollte aber keine, sie wollte nur, dass ich ihr über Filme erzählte. Jetzt will sie das nicht mehr. Ich versuche, mich zu bewegen, aber es geht nicht. Weil ich an Hölderlin dachte, wird das Wummern im Schädel weniger, und von hinter der zugestellten Schiebetür höre ich etwas. Ich muss weiterdenken, ganz schnell und wirr, damit es weiterwummert, denn ich bin nicht ganz
tot.
Seit der Zeit vor acht Wochen war ich nicht tot. Und ich
spüre es, dass ich jetzt noch nicht ganz tot bin. Ich bin 23 und habe nicht gelebt, hat Estella gesagt, und Estella hat gesagt, dass ich leben soll, und sie hat gesagt, dass sie mich liebt, und ich habe ihr gesagt, dass ich sie liebe, unbeschreiblich und überhaupt nicht auszuhalten, und da war ich am Leben. Sie sagte dann, dass es zu früh dafür ist, tot zu sein. Das weiß ich erst seit sieben Wochen. Vorher wusste ich nichts und war tot. Seit sieben Wochen weiß ich aber, dass da noch etwas ist, dass da noch etwas Unbeschreibliches ist, und dass ich das möchte, das Unbeschreibliche, obwohl es überhaupt nicht auszuhalten ist, und dass ich hierbleiben möchte und das Unbeschreibliche möchte und dass ich Estella liebe, und leben, denn das ist das Selbe. Aber die Schiebetür ist jetzt zugestellt, und es scheint, dass es nicht geht. Nicht Estella, nicht das Unbeschreibliche, nicht das Hierbleiben.
Da kann ich auf einmal einen Arm bewegen. Ich zucke mit dem Arm auf die Ablage neben dem Bett. Es klirrt. Wohl ein Glas. Ich bekomme etwas Glattes zu fassen, halb so groß wie meine Hand. Meine Finger krampfen sich darum und ich weiß, was das ist. Es ist die Kachel, darauf ist ein Stück vom Stadtplan von Paris, die Gegend des dritten Arrondissements. Die Kachel habe ich seit ich ein Kind war, ich habe sie in der rue Saint-Antoine gefunden, im Rinnstein. Es sind Straßennamen des dritten Arrondissements darauf.
Rue Saint-Antoine, Place de la Bastille, rue des Rosiers,
Place des Vosges. Als Kind habe ich immer draufgesehen, habe die Kachel nie aus der Hand gegeben, immer drauf gesehen und so lesen gelernt. Ich habe alle Buchstaben auf der Kachel mit allen Buchstaben auf der Straßenschildern verglichen, hochgesehen, runtergesehen, und dann konnte ich lesen, was darauf stand, auf den Straßenschildern und auf der Kachel. Da habe ich zum ersten Mal gespürt, dass ich wohl nicht ganz tot
bin.
Ich habe die Kachel nicht mehr, denn sie gehört jetzt Estella, ich hatte sie ihr geschenkt. Weil wir dort hinfahren wollten. Morgen. Morgen wollten wir dort hinfahren. Ich bin von da, sie hat früher da gelebt, wir haben uns nie getroffen, was gar nicht sein kann. Ich wollte zusammen mit ihr jetzt morgen da hinfahren. Was macht die Kachel hier? Das geht nicht. Sie muss da drüben liegen, hinter der zugestellten Schiebetür. Estella hatte sie in ihren Händen. Ich sehe ihre Hände vor mir, und das blendet mich so und hört nicht auf. Die Schatten kratzen an den Wänden und kriechen auf mich zu. Ich kneife die Augen zusammen, vor dem Blenden und vor den Schatten. Aber es blendet und die Schatten sind nicht weg. Und da ruft jemand, es ist Estella, ich muss ja nur ein Räuspern hören und weiß, dass es Estella ist, ohne diese Stimme bin ich tot, und Estella ruft durch die zugestellte Schiebetür. „Hey“, ruft sie, „Ernst kommt mit nach Paris, ist das okay?“
Die Schatten kriechen auf mich zu. Ich will nicht, dass sie zu mir hinkommen. Ich will noch etwas hier bleiben, ich bin 23 und weiß seit sieben Wochen, dass ich nicht ganz tot bin, und deshalb will
ich noch nicht, dass die Schatten herkommen, denn es gibt Estella. Aber die Schiebetür ist zugestellt. Ich rufe, „ja, das wird bestimmt nett“.
Ich versinke in der Matratze. Die Schatten kriechen in mich hinein. Meine Finger krallen sich um die Kachel. Habe ich etwas gerufen, was habe ich gerufen? Wenn ich gerufen hätte,
'nein, das ist nicht okay, denn dann bin ich morgen tot', dann würden sie ohne mich fahren. Ich kann aber nicht hier bleiben, ich kann auch nicht woanders hinfahren, nur da hin, wo Estella auch hinfährt. Oder tot sein. Woanders nicht tot kann ich nicht sein. Ich kann ja nicht mal hier fast tot sein, vor der zugestellten Schiebetür. Nur tot sein. Die Schatten kriechen in mich
hinein und ich halte das nicht aus und spüre nichts Anderes mehr. Ich will schreien, aber es geht nicht. In meinem Rücken starrt ein Schatten, und er holt mich jetzt. Ich verlösche langsam, Einschlafen ist das keins, Verlöschen ist. Langsam höre ich auf, hier so zu
sein.
3.
11:00 Uhr
Es ist Vormittag, ich muss in einen Bus steigen und ich versuche, nicht tot zu sein. So hat Estella es mir bis vor drei Wochen gesagt. Aber ich weiß nicht, wie das geht. Sie hat gesagt, „hey, kämpf doch“. Also versuche ich es. Obwohl die Schiebetür zugestellt ist. Aber weil es Estella dahinter wohl gibt, versuche ich es. Die Bustür faltet sich zusammen und da ist eine Öffnung im Bus, ich hebe den Fuß, der muss auf diese Stufe da, und ich denke, weil ich darüber gelesen habe und weil Estella es mir gesagt hat, dass man sich mit 23 nicht so fühlen sollte, nicht fast tot. Weil ich nicht ans Totsein denken soll. Mit 23, habe ich in einer Zeitschrift gelesen, sollte man eine Menge Spaß haben und mit offenen Buggies an den Strand fahren und Wrigleys Kaugummi kauen und Abends Sartre lesen. Man sollte mit 23 wohl nicht fast tot auf Trittstufen steigen. Das versuche ich zu denken. Ich steige drauf und setze mich in einen Sitz. Meine Finger tasten in der Hosentasche nach der
Kachel.
Estella ist nicht hier. Der Bus schlingert los. Viel zu viel Licht und viel zu viel Raum hinter den Fensterscheiben. Estella hat mir gesagt, dass die meisten Menschen keine Säcke aus Haut, Haaren und Klamotten sind. Eine Bank weiter sitzt ein Mädchen und guckt in die Luft. Wieder ein Sack aus Haut, Haaren und diesmal mit Mantel. Aber Estella hat gesagt. Ich versuche es und starre den Mädchensack an, denn an irgendwas erinnert mich das. Woran, weiß ich nicht. Sie bewegt sich nicht, der Bus schlingert und sie sitzt starr, sie trägt einen zu engen weißen Steppmantel, hat einen blonden Pferdeschwanz und ihre Augen kommen ein Stück zu weit aus dem Gesicht raus. Ihre Lippen sehen aus wie abgekaut, das kann nicht sein, sie sind an ihr dran, die Lippen, nichts ist abgebissen, sie sehen aber aus wie weggekaut. Jetzt steht ein Sack hinten auf und schiebt sich durch die Bankreihen. Das Mädchen hebt den Kopf und starrt ihn an. Jetzt, jetzt fällt es mir auf. Das Profil, die Himmelfahrtsnase, der wasserstoffblonde Pferdeschwanz, die Untersicht, der Schlagschatten links auf dem Gesicht, und besonders der gläubige Blick, der sich stolz verzehrt – das ist aus
Triumph des Willens von Leni Riefenstahl. Triumph des Willens, triumphiger und williger als im Film. Das hat Leni Riefenstahl mir beigebracht, zu wissen, wie triumphig sich die Säcke aus Haut und Nasen fühlen möchten, bevor sie tot sind. Im Bus sitzt Leni, rollt die blauen Augen hoch und will aussehen wie in
Das blaue Licht. In Schwarzweiß müsste es sein, ist es nicht, es ist bunt, filmdramatisch, aber rosenfarbig, angesüßt wie in den Filmen von David Hamilton. Von dem habe ich gelernt, wie die Säcke sich fühlen wollen, wenn überhaupt, wenn sie sich zu tot vorkommen. Leni Riefenstahl hätte für den Hamilton-Farbhauch wohl viel Geld bezahlt. Leni im Bus dreht ihr Profil, die Augen rollen gläubig hoch wie in
Das blaue Licht, die abgekauten Lippen öffnen sich, die Nase sticht nach vorne wie die rechten Hände in
Triumph des Willens. Meine Finger verkrampfen sich um die Kachel.
Ich schlingere zur Tür, lehne mich an die Stange und sehe raus. Draußen ist nichts. Der Himmel ist grau. Flugzeugfliegen mit Estella, irgendwohin. Estella wird mit mir nirgendwohin fliegen. Im Flugzeug könnten wir Filme sehen, schwarzweiß, mit Ava Gardner oder mit Edward G. Robinson. Wir könnten Flugzeugwhisky trinken wie Mastroianni in
Le nuvole, und die Lufthansa-Säcke wären nicht wasserstoffblond und spitznasig, denn die gibt es dort nicht, wegen der Flugzeugfilme mit Ava Gardner und Edward G. Robinson, und weil Estella neben mir sitzt. Was sie nicht tun wird. Die Stange, an die ich mich lehne, rüttelt in meinen Knochen. Estella ist nicht hier, sie ist irgendwo, aber sie ist weg, und sie würde nicht mit mir Flugzeug fliegen, irgendwohin. Ich will lieber ganz tot sein. Estella hat vor einer Woche gesagt, dass sie Ava Gardner noch nie gesehen hat. Edward G. Robinson auch nicht. Ich habe ihr dann erzählt, wie Edward G. Robinson aussieht und was er wie sagt, aber sie ging gleich weg. Sie wird nicht mit mir Flugzeug fliegen, nirgendwohin, und sie wird nicht mit mir Ava Gardner oder Edward G. Robinson sehen. Der Bus hält an. Ich steige aus dem Bus raus. Draußen ist gar
nichts.
4.
14:00 Uhr
Ernst sitzt in der Küche. Ich stehe schon drin. Es ist zu spät, um mich umzudrehen und rauszugehen. „Hallo“, sagt Ernst. „Hallo Ernst“, sage ich. Ernst hat ein kantiges Kinn wie Roger Moore. Nicht wie Cary Grant. Er sieht wohl gut aus, so wie Roger Moore gut aussehen soll, aber ob ein Sack gut aussieht, davon verstehe ich nichts. Von Hosen verstehe ich wohl auch nichts. Meine sind aus schwarzem Cord. Sind sie immer. Im Schank liegen nur Hosen aus schwarzem Cord. Ernsts Hose ist gestreift. Irgendwie angesagt wie in bunten Fernsehserien. „Ich verstehe nichts von Hosen“, sage ich und fühle mich nicht ganz tot, wäre aber lieber ganz tot, „aber deine sind irgendwie angesagt, nicht?“ Ernst lacht. „Klar“, sagt er, „und ich glaube, du verstehst doch was von Hosen, wenn du weißt, dass meine angesagt ist. Deine ist übrigens auch nicht schlecht“.
Ich habe keine Ahnung, was ich hier in der Küche wollte, in der Ernst sitzt und mit mir über Hosen redet, weil ich davon angefangen habe, und ich will weggehen, tue es aber nicht, denn dann müsste ich wieder Bus fahren oder draußen tot sein. „Sag mal“, sagt Ernst, beugt sich vor und sieht mich mit grauen Augen an, die wohl gut aussehen, aber davon verstehe ich nichts. „Ich will was für deine Schwester kochen, bevor wir losfahren, sagst du mir, was ihr schmeckt?“
Ich stehe nur so rum und sehe Ernst an. Ich weiß nicht, was ich hier in der Küche wollte, und warum ich nicht tot bin. Ernst sieht, dass ich ihn ansehe, und seine Augen sehen an mir hoch und runter, und ich sage nicht, warum ich nur so dastehe und den Sack ansehe und ihm nicht sage, was er für meine Schwester kochen soll. Das Wort
Schwester hämmert in meinem Schädel. Eine Schwester habe ich nie gehabt, früher nicht und jetzt nicht, und deshalb weiß ich nicht, was ihr schmeckt. Einen Bruder habe ich auch nicht, und also schmeckt ihm nichts. Estella hat mir vor drei Wochen gesagt, dass sie lieber meine Schwester sein wollte. Dann hat sie die Schiebetür zugestellt, mit ihrer blauen
Stahlkiste.
Ich sage immer noch nichts. Das geht nicht. Denn gleich breche ich hier vor Ernsts Hosenbeinen zusammen. Irgendwas MUSS ich sagen. „Ich weiß nicht“, sage ich, „ihre Lieblingsspeisen ändern sich oft, vor acht Wochen hat sie gern...“ ich suche ein Wort, irgend eins, und mir fällt
Maronensoufflé ein. „Sie hat gern Maronensoufflé gegessen“, sage ich. Ernst lacht. „Was ist das, Maronensoufflé, und wie kann ich ihr das kochen?“, fragt er und lacht. „Ich weiß nicht“, sage ich und merke, dass ich mich wiederhole. Das geht nicht. „Maronen sind wohl schlecht zu kriegen“, sage ich zu Ernst. „Und Soufflé erst. Koch ihr was mit viel Käse, das mag sie“. Ich drehe mich um und gehe langsam aus der Küche raus. Es ist schwer, aus der Küche raus zu gehen. Es ist schwer, überhaupt zu gehen. Aber in der Küche stehen bleiben und über Hosen oder Maronensoufflé zu reden geht auch nicht. Ich will draußen tot sein. Woanders muss ich tot sein, um tot zu sein. Ich sollte mit Estella verschwinden, irgendwohin. Aber sie würde nicht mit mir verschwinden, nirgendwohin. Ich weiß nicht, wo nirgendwohin liegt. Vielleicht muss ich allein verschwinden. Aber wohin? Ich muss da sein, wo Estella ist, woanders ist nichts und woanders hin geht es
nicht.
5.
16:00 Uhr
Oben hängt ein Gewölbe aus rotem Sandstein mit gotischen Rippen, links eine Orgel, eine Schwalbennestorgel, die rumhängt, und hinten sind zu breite Fenster mit appen Ecken. Das Münster, ich sitze im Münster, ich weiß nicht, wieso. Und ich bin gerade gar nicht tot und spüre es. Denn du machst meine Seele gesund, flüstere ich. Aber wer ist Du, es ist doch niemand hier, und wieso soll meine Seele gesund sein, sie ist doch gar nicht da, wie kann sie dann gesund werden. Im Münster, was ist das bloß, hier hocken Säcke, die wie alte Frauen von Fellini aussehen wollen und mit ihren Kopftüchern nicken. Vorne kniet ein Sack und betet, den habe ich irgendwo gesehen, wohl in der Uni. Er hat etwas Verklärtes und gleichzeitig Verschlagenes. Wie das aussieht, weiß ich von Edward G. Robinson. Der Sack kniet dort. Die Säcke aus Haut, Haaren und Kopftüchern machen sowas. Ich weiß nicht, wieso. Edward G. Robinson macht das nie. Was tu ich hier? Ich bin gerade nicht tot und habe irgend etwas geflüstert. Ich sollte etwas Anderes geflüstert haben, verlass mich nicht, sollte ich geflüstert haben. Aber nicht hier. Weil niemand hier ist. Nur Säcke aus Haut, Haaren und Klamotten. Estella ist nicht hier. Verlass mich nicht. Ich habe versucht, ihr das zu sagen, verlass mich nicht. Vor drei Wochen. Es ging nicht. Ich konnte es ihr nicht sagen. Außer ihr gibt es niemanden. Aber sie ist nicht hier. Meine Finger krampfen sich um die Kachel. Ich bin hier, um nachzudenken, ob ich tot sein will. Denn das hat Estella mich bis vor drei Wochen gefragt, und ich konnte ihr nicht antworten, ich habe sie nur angesehen. Es hat nicht gereicht. Im Münster kann ich nicht darüber nachdenken. Ich weiß nicht, was die Säcke, die versuchen, wie bei Fellini oder Hitchcock auszusehen, hier machen. Oder woanders. Flüstern oder beten, wie Sofia Loren in
Arabeske, ich weiß es nicht. Aber ich kann nicht beten, denn ich weiß nicht, was das ist, und ich weiß nicht, wer dieser Du ist, mit dem ich vorhin geflüstert habe. Woanders vielleicht. Aber woanders lässt man mich nicht
hinein. Vorhin habe ich es wieder versucht. Um 15:00
Uhr.
„Lassen Sie mich doch rein“, habe ich zu dem Sack hinter dem Gatter gesagt, „nein, drinnen kennt mich keiner und Papiere hab ich nicht, jedenfalls keinen Eintrag, dass meine Mutter mosaisch ist oder sowas, das wollen Sie sehen, ja?“
„Ja“, sagte der Sack, „wenn Sie kein Jude sind, muss ich Sie bitten, zuerst mit dem Rabbiner einen Termin auszumachen“. – „Ich möchte doch einfach nur in die Synagoge“, sage ich, „lassen Sie mich bitte rein, ich möchte nur da drin sitzen und nachdenken“. – „Das geht nicht“, sagt der hinter dem Gatter, „es ist jetzt Mussaf-Gottesdienst, da können Sie nicht einfach so hineingehen. Machen Sie bitte zuerst mit dem Rabbiner einen Termin aus“. – „Ich hab halt keine Papiere“, rufe ich und er geht einen Schritt zurück,
„was kann ich denn dafür, dass die Papiere weg sind, es gibt keine Papiere mehr, die sind weggekommen, was weiß denn ich, und jetzt lassen Sie mich bitte rein, ich will in der Synagoge sitzen und nachdenken“. – „Es ist Mussaf-Gottesdienst“, sagt der Sack und er geht noch einen Schritt zurück, „da kann ich Sie nicht hineinlassen, machen Sie bitte zuerst mit dem Rabbiner einen Termin aus“. Er dreht sich um und verschwindet. Wind fährt mir unter die Jacke. Ich lehne meine Stirn ans Gatter, bin einen Moment nicht tot und schreie ein bisschen. Das ist anders, als drinnen in der Synagoge zu sitzen und nachzudenken. Da will ich hin, nicht hier die Stirn ans zue Gatter lehnen und nicht nachdenken und statt dessen schreien. Als ich heiser bin, bin ich etwas toter und gehe weg.
Jetzt sitze ich aus Zufall im Münster.
16:30 Uhr
Die Münsterbank knarrt und ist hart, die alten Sackfrauen nicken mit ihren Kopftüchern. Ich stehe auf, denn
Herumsitzen geht nicht, Nachdenken geht nicht und Wegrennen geht nicht. Es ist niemand da. Ich gehe zu dem Alexanderkapitell vorne rechts. Ich gehe hin und das Alexanderkapitell ist da. Es zeigt Alexander, der geradeaus starrt und seine Hände links und rechts um zwei Greifvögel gelegt hat. Das ist Alexander, der gerade mit zwei Greifvögeln abfliegen will. Denn das war irgendwo zu lesen. Was zu lesen ist, merke ich mir, und also ist es so. Ich starre Alexander ins Gesicht und Alexander starrt zurück. Er starrt seit 1200 zurück. Abgeflogen ist er nicht. Ich weiß nicht, wie jemand so lange nicht abfliegen kann. Ich will mit Estella abfliegen, irgendwohin, aber es geht nicht, und weil sie mit mir nirgendwohin fliegt, bin ich vor dem Abfliegen tot. Links auf dem Alexanderkapitell ist der eine Greifvogel und rechts ist der andere. Der linke Greifvogel starrt nach links und der rechte Greifvogel starrt nach rechts. Sie fliegen nicht ab. Sie starren seit 1200. Mir fällt ein, dass ich das hier mal studiert habe, oder dass ich das studiere oder studieren sollte. Ich weiß nur darüber, was ich gelesen habe, aber nicht, was es für sich selber ist oder was es für mich bedeutet.
„Elsässisch-burgundisch-lombardische Spätromanik“, flüstere ich zu Alexander. Der starrt. Mehr als den vagen Begriff weiß ich nicht. Wahrscheinlich stimmt er nicht. Ich habe darüber gelesen, weil Estella jemanden haben sollte, der so einen Begriff kennt und nicht nur von Filmen redet. Dachte ich. Aber es hat nichts geändert. Der Alexander auf dem Kapitell weiß das wahrscheinlich. Deshalb ist er zu Stein erstarrt und fliegt nicht ab, seit
1200.
Ich kann hier nicht stehen bleiben. Ich gehe in die andere Richtung. Denn irgendwo hingehen muss ich. Die Schwalbennestorgel hängt immer noch da oben rum. Ich gehe nach hinten zu der kleinen Tür in der Wand, da drin ist eine Treppe, und die windet sich nach oben. Vielleicht kann ich oben nachdenken. Ich gehe durch die Tür und steige die Treppe hoch. Sie windet sich nach links, immer links herum. Sie führt nach oben. Da will ich hin. Vielleicht ist es da nicht so stickig, vielleicht kann ich da nachdenken. Durch eine Luke in der Mauer sehe ich die Dachtraufe des Münsters. Das ging schnell, aber es ist immer noch zu stickig und
Nachdenken geht nicht, es ist zu eng hier, und ein Wasserspeier glotzt mir ins Gesicht. Weiter. Es geht höher. Ich bin außer Atem vom Stufen Hochspringen, ich muss hier hoch, wegen der Luft, weil hier zu wenig davon ist. Hinter der über-übernächsten Luke sind nur noch kleine Dächer im Dunst.
Weiter.
Da, überall Luken, große mit Spitzbögen, rechts ist ein Durchgang, und nach links windet sich die Treppe ein paar Stufen höher, um in der Luft aufzuhören. Sie hört einfach auf. Die Stufen sind abgesperrt. Was passiert, wenn ich da einfach höher steige, weiter steige, geht es höher? Es ist aber abgesperrt. Hier ist schon mehr Luft, aber noch nicht genug. Viel Raum, aber nur schmale Stufen, auf denen man kaum Platz hat. Ich brauche mehr Platz, um nachzudenken, was mit dem Totsein ist. Und mehr Luft. Hinter dem Durchgang öffnet sich ein Raum, ein Raum von einem Raum, er besteht nur aus leeren Riesenspitzbögen, hinter denen ist gar nichts, nur Dunst und Himmel, fünfzehn Meter hohe Löcher, und darüber ist kein Dach, sondern da geht es überall durch, dünne Steingitter, sie wölben sich da riesenhoch, turmhoch. Luft ist hier jede Menge, ich komme nicht mit dem Atmen nach, und hier ist nichts Anderes als
Platz.
Ich muss aber irgendwo nachdenken. Mit so viel Platz kann ich nicht nachdenken. Ich gehe rüber zu einem der leeren Spitzbögen. Der Himmel leuchtet mich an, das ist ja wie Estellas Augen in ihrer alten Mansarde vor sieben Wochen, genauso, es leuchtet mich an und ich sacke halb zusammen. Da ist eine Brüstung, und links weiter draußen steht eine dünne hohe Säule im Leeren. Ich lehne mich um die Mauer herum, da sind zwei dünne hohe Säulen, die oben ein dünnes
hohes Gewölbe tragen, und sonst ist da gar nichts. Da muss ich zum Nachdenken hin. Ich steige über die Mauerbrüstungen, mehrere hintereinander, hier draußen
sind nur Raum und Luft ohne Ende, und ich balanciere rüber zu der dünnen Säule, an der ich mich festhalte, und daneben ist ein Stück Steinplatte, genau unter dem dünnen Gewölbe, und da setze ich mich hin. Um mich herum ist gar nichts, nur zwei dünne Säulen und Himmel und Luft und Dunst und Leere, und unter mir drunter ist die kleine Steinplatte, sonst ist hier gar nichts, nur Raum, der leuchtet wie Estellas Augen, und ich sacke zusammen und atme nicht, während ich darüber nachdenke, ob man wieder wegwill, wenn man schon mal hier ist, und dann schlage ich meinen Schädel gegen die dünne Säule, denn ich muss wieder zu Estella, und ich weiß, dass es nicht geht, denn Estella wird nicht mehr mit mir sein, aber woanders kann ich nicht sein, und ich schlage meinen Schädel gegen die dünne Säule und weiß, ich kann nicht ins Leuchten vor mir, denn das ist weg, wenn ich nur mal kurz die Augen zumache. Estellas Augen sind aber nicht weg. Wo ich nicht hin kann. Und nachdenken kann ich hier auch
nicht.
Ich versuche es weiter, bis es dunkel wird. Dann ein Licht, Lärm, Stimmen im Leeren. Es ziehen Hände an mir. Irgendwelche Hände. Die Hände greifen mich und ziehen mich an der dünnen Säule entlang, es schabt an meinem Hals, ich halte mich fest aber gleite ab, die Hände ziehen mich weiter und über die Brüstung. Viele Hände, viel Lärm, es schabt an meinem Bauch. Die Stimmen machen Lärm, immer mehr Lärm. „Ich hab den Weg zur Treppe nicht gewusst“, sage ich zu den Stimmen. Es ist schwer, etwas zu sagen, und deshalb sage ich, „ich bin heiser, habe mich wohl erkältet, muss jetzt nach...“ ich weiß nicht, was ich weiter sagen soll, ich sage, „nach Hause“, ziehe mich an der Brüstung hoch, sehe den leeren dunklen Spitzbogen, aber das ist die falsche Richtung, denn da sind ja diese Hände, und ich drehe mich um und gehe durch die Hände zur
Treppe.
6.
19:30 Uhr
„Sie müssen jetzt gehen“, sagt eine Stimme. Da ist eine Bewegung, eine Hand, ich sehe sie als Schemen im Augenwinkel. Ich soll wohl hochsehen, aber das geht nicht, wegen der sieben blauen, weißen und roten Bücher von Lévinas,
Bellow, Finkielkraut, Willy Brandt, Kortner, Hitchcock und Schiller auf meinem rechten Knie und wegen der sechs grünen, schwarzen und blauen von Schiller, Schiller, Schiller, Schiller, Schiller und Schiller auf meinem rechten Knie, die runterkippen würden, wenn ich zu der Schemenbewegung dieser Hand hinsähe. Dann wäre ich tot. Unter beide Arme geklemmt habe ich vier Bücher, von Hölderlin, Artaud, Hölderlin und Sartre. Ein gelbes. Sartre, in einer anderen Farbe, rotschwarz, liegt auf meinen Knien, über beiden, weil es ein schweres Buch ist. Es liegt über den anderen Büchern. Ich lese darin, aber verstehe nichts. Ich muss aber verstehen, denn es sind Gedanken, die ich nicht verstanden habe, denn das Bisschen aus Filmen hilft ja
nichts.
„Sie müssen jetzt gehen“, sagt eine Stimme wieder. Und diese Handbewegung. Wenn es eine Hand ist. Ich kann jetzt aber nicht gehen, ich muss diese Bücher lesen und die Gedanken verstehen, obwohl ich nichts verstehe. Ich muss verstehen, was diese Bücher und Gedanken miteinander zu tun haben, und was sie mit Estella zu tun haben und mit mir, und ob ich tot sein werde oder ob ich tot bin. Was das damit zu tun hat, das muss ich lesen und verstehen.
Ich lese im rotschwarzen Buch von Sartre und verstehe nichts. Ich muss aber verstehen, was das Alles miteinander zu tun hat. Hitchcock schreibt, dass Filmbilder Andeutungen sein müssen. Finkielkraut schreibt, dass das Abenteuer sein muss, aber deshalb nicht stattfindet. Sartre schreibt, dass alles, was stattfindet, Bewegung ist, und das ist eine Krankheit des Seins, schreibt er auf Seite 450 im rotschwarzen Buch, das über meinen Knien liegt, über den anderen Büchern, und dessen Buchstaben ich deshalb sehr groß sehe. Ein Schatten wischt drüber, wohl die Hand, die zu der Stimme gehört, die wieder sagt, „Sie müssen jetzt
gehen“.
Auf Seite 451 schreibt Sartre, dass der Charakter nur als Gegenstand der Erkenntnis für den Anderen eine bestimmte Existenz hat. Das verstehe ich nicht, denn Schiller schreibt, dass die beschränkten Urtheile der Selbstsucht dem Menschen optisch täuschend sein kurzes Dasein in einen unendlichen Raum ausbreiten, wobei Finkielkraut schreibt, dass die Banalität den Menschen der Intensität des Unglücks beraubt, weil der Mensch abwesend von sich selbst ist. Aber Lévinas schreibt, dass der Widerstreit mit sich selbst die Lichtstrahlen abschneidet, und dass die endgültige Wahrheit alle Lichtstrahlen verglühen lässt. Wobei Sartre auf der Seite 495, die ich jetzt aufschlage, schreibt, dass die Begierde nur als nichtsetzendes Bewusstsein ihrer selbst sein kann. Was ich nicht verstehe, nur mit Hölderlin, der aber geschrieben hatte, dass das, was lebt, unvertilgbar ist, und wenn man es auf den Grund scheidet und ins Mark zerschlägt, so entfliegt sein Wesen dir siegend unter den Händen. Aber Schiller hatte in dem grünen Buch auf meinem rechten Knie geschrieben, dass unwiderleglich wahr ist, dass wir der mosaischen Religion einen großen Theil unserer Aufklärung danken, und dass so der Grundanker der Vernunft gelegt worden ist. Ist das die Krankheit des Seins, über die Sartre auf Seite 450 geschrieben hat, und liegt es an der Abwesenheit von sich selbst, wie Finkielkraut schreibt, oder sind es nur Andeutungen von Filmbildern, die Hitchcock gemeint hat, oder Bewegung, wie Sartre schreibt, aber was ist mit der Begierde, die das Bewusstsein setzt, wie er auf Seite 495 noch immer schreibt, denn darüber wedelt der Schatten wohl einer Hand, und was ist mit Sartres Krankheit des Seins, das muss ich verstehen, und was ist mit dem
Totsein, über das Totsein finde ich nichts, und eine Stimme sagt wieder, „Sie müssen jetzt gehen und warum gehen Sie denn nicht“, und was war mit Schillers Urtheilen der Selbstsucht und mit dem Totsein?
Ich versuche zu verstehen, ob Lévinas gemeint hat, dass in der endgültigen Wahrheit alle Lichtstrahlen verglühen, weil der Mensch im unendlichen Raum abwesend von sich selbst nur als Charakter eine bestimmte urtheilende und ins Mark zerschlagene Existenz hat, und jetzt verschwindet die Seite 495 des schwarzroten Buchs von Sartre, die ich sehr groß sehe und die ich nicht verstanden habe, aber ich muss sie verstehen, muss, aber sie ist schon weg, denn eine Hand zieht die Seite mit dem Buch weg. Ich sehe die Hand sehr groß, und ich greife mit meinen beiden Händen hinterher, denn ich muss die Seite verstehen, aber die sieben Bücher von meinem rechten und die sechs von meinem linken Knie kippen jetzt runter. Die Stimme fängt an rumzuschreien, und da sind noch mehr Stimmen, manche schreien, und Hände ziehen mich an den Armen und unter den Achseln, aber ich lasse mich auf den Boden fallen, denn ich muss verstehen, was in den Büchern von Schiller, Lévinas, Sartre, Finkielkraut, Hölderlin, Brandt, den ich noch nicht aufgeschlagen habe, Kortner, den ich noch nicht aufgeschlagen habe, Bellow, den ich noch nicht aufgeschlagen habe, steht. Ich greife mit den Händen nach diesen Büchern. Auch nach dem Buch von Artaud, das ich noch nicht aufgeschlagen habe, greife ich. Hände fassen mich an den Armen, aber ich schlage mit den Armen nach den Händen und lasse mich wieder auf den Boden fallen und greife nach dem Buch von Kortner, das ich wie das von Artaud lesen und verstehen muss, das jetzt aufklappt, und die Hände greifen mich wieder und ich lese jetzt bei Kortner den Satz, dass beim Klang meiner Stimme einer der Spieler den Blick auf mich gerichtet hat, und ich lese darunter auf Seite 340 noch den Satz von einer überzeichneten Nachahmung der Gebärden des Abgelehnt- und Abgewiesenwerdens, den ich fast verstehe, bevor mich die Hände, jetzt viele Hände, an Armen und Beinen fassen und mich über den Boden ziehen, bis ich an einer Tür entlang schleife. Als die Hände mich loslassen, bin ich draußen und höre, dass die Tür abgeschlossen
wird.
Ich habe das Buch von Artaud nicht gelesen, ich habe es nicht einmal aufgeschlagen. Ich weiß, dass dort stehen muss, oder im Buch von Bellow, was ich bei Sartre, Lévinas, Schiller, Finkielkraut, Hölderlin, Hitchcock und Kortner nicht verstanden habe. Ich höre, dass sich ein Schlüssel hastig im Türschloss dreht und dass jemand herauskommt, ich sehe seinen Schuh neben meinem Gesicht, er ist braun und vorn etwas abgenutzt, und der Schlüssel dreht sich wieder hastig im Türschloss.
„Bitte“, sage ich, drehe mein Gesicht hoch und sehe einen Sack mit weißem Jackett, der hastig zurücktritt. „Bitte“, sage ich, „bevor ich nicht in Artauds oder Bellows Buch gelesen habe, was ich bei Schiller, Hölderlin, Finkielkraut und besonders bei Sartre nicht verstanden habe, hat Hitchcock vielleicht nicht Recht, ob Andeutungen von Filmbildern sein müssen, und was Andeutungen überhaupt sind und was sie mit den Lichtstrahlen zu tun haben, die in der endgültigen Wahrheit und im unendlichen Raum verglühen, und was das mit Estella zu tun hat, muss ich verstehen. Bitte“. – „Ich hole jetzt die Polizei“, sagt die Stimme. Das weiße Jackett dreht sich um und geht weg. „Bitte“, sage ich, aber ich sage es zu
niemandem.
Ich muss aufstehen, sonst kommt die Polizei. Ich will nicht, dass die Polizei kommt, denn ich muss über Artaud und über Bellow nachdenken, die ich nicht gelesen habe. Ich fasse an die Wand, da ist ein Scharnier, daran ziehe ich mich hoch. Mein Gesicht schabt über die abgeschlossene Tür. Das ist die falsche Richtung. Ich muss mich umdrehen. Ich drehe mich um und gehe zwei Schritte, aber da ist so viel Raum. Links ist eine Hauswand. Ich lehne mich daran, aber nicht zu lange, denn ich muss hier weg, sonst kommt die Polizei, und ich muss über Artaud und Bellow nachdenken. Die ich nicht gelesen habe. Ich schaffe es, an der Hauswand entlangzugehen. Als sie zuende ist und wieder so viel Raum anfängt, schaffe ich es, weiterzugehen, denn ich muss hier weg. Ich gehe weiter und schaffe es. Aber über Artaud und Bellow kann ich nicht nachdenken, denn ich habe sie nicht gelesen. Ich gehe weiter. Da ist so viel Raum, aber ich muss weitergehen. Ich könnte woanders über Artaud und über Bellow nachdenken. Da ist eine Küche irgendwo, aber in der sitzt eine gestreifte Hose und will über irgendetwas reden, was war es, ich denke darüber nach, worüber da geredet werden sollte. Da stoße ich an einen Pfahl, und als ich hochsehe, ist oben ein Straßenschild, auf dem
Zasiusstraße steht. Ich weiß, dass es dort zu der Küche geht, in der Ernst über Maronensoufflé reden wollte, jetzt fällt es mir ein. Die dritte Straße links. Aber dorthin kann ich nicht. Denn da bei der Küche ist Estella, da kann ich nicht hin, und das Straßenschild verwischt sich. Ich gehe in die Zasiusstraße und jetzt weiß ich ungefähr, wohin ich gehe, aber ich kann kaum sehen, es ist alles so
verwischt.
An der Ecke zur dritten Straße links stoße ich gegen etwas Rotes. Ein Auto. Das kenne ich, es ist mein Auto, das hatte ich hier geparkt. Um heute Nacht nach Paris zu fahren. Jetzt fällt es mir ein. Ich musste sowieso zu diesem Auto, und dort bin ich jetzt. Wie spät es ist, weiß ich nicht. Ich überlege, wie ich in dieses Auto einsteigen soll, aber da ist der Schlüssel in meiner Hosentasche, der ist da immer. Ich schließe damit das Auto auf und setze mich ins Auto hinein. Ich falle in den Sitz. Diesen Sitz kenne ich. Hier habe ich oft gesessen. Hier habe ich mit Estella gesessen. Sofort verwischt wieder
alles.
Ich sitze im Auto und denke über Artaud nach und über Bellow, aber ich weiß nichts über sie, denn ich habe sie nicht gelesen. Dann denke ich übers Autofahren nach, denn ich muss heute Nacht nach Paris fahren. Meine Finger krallen sich um die Kachel in der Hosentasche. Autofahren, wie ging das? Den Zündschlüssel nach rechts drehen, in den Rückspiegel sehen, Gas geben, auf die Benzinanzeige sehen, bremsen, in den Rückspiegel sehen. So fährt man Auto. Ich sitze im Auto und denke über das Autofahren nach, und dass ich autofahren muss, nachher, um in der Nacht nach Paris zu fahren. Ich gehe alles einzeln durch, was beim Autofahren passiert, Zündschlüssel, Rückspiegel, Blinker, Gas geben, lenken, Scheinwerfer, Scheibenwischer, bremsen, lenken, Tachometer, Benzinanzeige, und die Gangschaltung, jetzt fällt es mir ein, dass man Gänge schalten muss beim Autofahren. Ich gehe alles einzeln
durch.
7.
23:30 Uhr
Es leuchtet gelb in der Nacht, zuerst ist mehr Nacht als Gelb da, und dann nur noch Gelb und immer weniger Nacht und dann keine Nacht mehr, nur noch Gelb. Ich bremse und drehe den Zündschlüssel nach links. Es ist gelb. „Was ist los?“, fragt Ernst von hinten. „Tanken“, sage ich. „Hey, ich dachte, wir fahren bis Troyes und tanken da“, sagt Estella von hinten. „Gut“, sage ich, „dann fahren wir bis Troyes“. Ich drehe den Zündschlüssel nach rechts und gebe Gas. Alles ist gelb, dann kommt die Nacht, das Gelb verschwindet, die Nacht kommt. Seit Colmar hat Estella nichts gesagt. Ohne ihre Stimme bin ich tot, und sie hat nichts gesagt, und gesehen habe ich sie seit Breisach nicht, denn ich kann mich nicht umdrehen und kann nicht spüren, dass sie da ist, ich spüre es nicht. Wenn ich das nicht spüre, bin ich tot. Jetzt hat sie gesagt, dass sie bis Troyes will. Ich gebe Gas, bremse, sehe in den Rückspiegel, gebe Gas und das Auto fährt. Obwohl im Tank wohl kein Benzin mehr ist. Aber bis Troyes kommt das Auto
vielleicht.
0:30 Uhr
Das Auto kommt nach Troyes. Häuser mit grauen Fensterläden, Lichter, ein Dom, grell angestrahlt. Da ist eine Tankstelle, eine gelbe. Der Dom und die Lichter von Troyes leuchten, und als das Auto in die Tankstelle fährt, verschwindet Alles im Gelb. Ich drehe den Zündschlüssel nach links und steige aus dem Auto. Luft und Gelb. Es riecht nach Benzin, verbrannter Asche und nach Troyes. Ich kann nicht gerade stehen, alle Knochen sind im Weg, der Schädel wummert. Im Auto habe ich nichts gespürt und war tot, und jetzt spüre ich wieder etwas und will tot sein, und Estella ist nicht da, obwohl sie gleich hier im Auto sitzt, das spüre ich, und ich kann mich nicht nach ihr umdrehen und bin einen Moment lang nicht tot. Ich tanke Benzin in den Tank. Die Tanksäule ist gelb und macht rattatatt. Es riecht nach Benzin und ist
gelb.
Ich lasse den Benzingriff los und hänge die Zapfpistole zurück. Sie passt nicht rein. Ich drücke, aber sie passt nicht rein. Ich presse die Zapfpistole in den Schlitz, sie passt nicht rein, ich hämmere mit der Zapfpistole auf den Schlitz, damit sie reinpasst. Sie passt nicht. Ich rutsche aus und falle in eine Ölpfütze. Es klatscht. Ich bin aufs Gesicht gefallen, nicht damit in die Ölpfütze, auf gelben Asphalt. Ich ziehe das Gesicht vom gelben Asphalt und stehe auf, aber im Bein sticht es, an der Seite rechts, wie das sticht, ich stecke die Hand in die Hosentasche und es ist feucht drin und da sind Splitter, ich ziehe die Hand raus und sie ist ziemlich rot, nicht knallrot, sondern gelbrot. Ich stecke die Hand in die Hosentasche, wo die Kachel ist, aber da ist keine Kachel, da sind Splitter. Das geht nicht. Ich ziehe die Hand aus der Hosentasche und sie glänzt gelbrot. Ich stecke die Hand in die Hosentasche und ziehe mit der Hand einen großen Splitter raus, außen ist noch die Kante der Kachel, dann kommt Farbe und ein angefangenes Wort,
rue Saint-Ant..., da ist es abgebrochen, einmal quer rüber, scharf wie
Glas.
Ich steige über die gelbe Ölpfütze, es geht nur langsam mit dem Bein. Als ich hochsehe, steht die Beifahrertür des Autos offen. Der Beifahrersitz ist vorgeklappt. Auf der Fläche sitzt Estella. Ich sehe Estella, ich habe Estella seit Breisach nicht gesehen. Sie sitzt da und hat die Augen zu. Vor ihr auf der Rückbank sitzt Ernst, und er hat seine gestreiften Hosenbeine und seine Arme um sie geschlungen. Estellas Arme hängen runter. Sie küssen sich. Estella sieht tot aus. Ich sehe nicht viel von ihrem Gesicht. Ich sollte ihr jetzt sagen, verlass mich nicht. Es geht nicht. Es geht auch nicht, mich umzudrehen. Ernsts Hinterkopf und Nacken sind vor Estella, aber ich sehe sie und weiß, wer sie ist. Etwas Anderes weiß ich nicht. Ich werde nichts Anderes wissen und will tot sein. Hier passt nichts. Das Gelbe passt nicht und Troyes passt nicht. Das Auto passt nicht und ich passe nicht. Die Ölpfütze passt nicht und die Kachelsplitter im Bein passen nicht. Es passt nicht, dass ich nicht tot bin, und die Zapfpistole habe ich auch nicht reingekriegt. Estella, die Ernst auf der Fläche des vorgeklappten Beifahrersitzes küsst, passt nicht. Ihr zu sagen, verlass mich nicht, passt jetzt nicht mehr. Es hätte vor drei Wochen gepasst. Aber da ging es
nicht.
Nichts ist mehr da. Auch nicht die Kachel. Estella hat sie nicht behalten. Ich lege den großen Kachelsplitter auf meine Handfläche. Ich stecke die Hand in die Hosentasche und ziehe einen anderen Splitter heraus. Er passt nicht an den großen Splitter. Ich stecke die Hand in die Hosentasche und ziehe mehr Splitter heraus, es sticht im Bein und in der Hand. Zwei Splitter passen zusammen, aber die anderen nicht. Es ist zu gelb hier, ich brauche mehr Licht. Nur mit mehr Licht finde ich Splitter, die passen. Ich drücke mich durch die Tanksäulen, ganz langsam, denn die Splitter auf den Händen sollen nicht verrutschen, und mit dem Bein geht es nicht schneller. Ich stecke die Hand in die Hosentasche und ziehe mehr Splitter heraus. Sie passen nicht. Ich gehe ganz langsam weiter und ziehe mehr Splitter aus der Hosentasche. Ich drehe zwei Splitter mit den Fingerspitzen, wobei ich aufpasse, dass alle auf den Händen liegen bleiben. Das Licht ist hier zu gelb und die Splitter passen
nicht.
Ich gehe ganz langsam weiter, das Licht wird dunkler gelb und zwei andere Splitter passen jetzt zusammen, aber als ich langsam ein Stück weitergehe, kommt ein weißes Licht und ich sehe, dass die beiden Splitter doch nicht zusammenpassen. Es sah nur im dunklen gelben Licht so aus. Das weiße Licht wird sehr schnell heller und das ist ganz gut, denn je heller das weiße Licht wird, um so deutlicher sehe ich die Splitter auf den Händen und finde vielleicht welche, die passen. Dann explodiert das weiße Licht
[Soundtrack zur Geschichte: ->
Da klixen]
Geruch der Macht
(2007)
"Don't eat that yellow snow"
(Frank Zappa, 1974)
"Warst du wieder draußen?", fragt mein Vater. Er sitzt auf dem roten Stuhl und sieht fern. Der Fernseher steht in dem abgedunkelten Zimmer mit offener Tür, an der ich
vorbeigehe, wenn ich auf dem Weg zu meinem Zimmer hinter Eingangstor, Entrée, Vorsaal und Spiegeltür die Abkürzung links durch den Cucaracha-Gang gehe. Er windet sich um sieben Ecken, dreimal rechts und viermal links, und er wird nur nach der dritten Ecke durch ein Oberlicht beleuchtet. Nach der dritten Ecke von hinten gezählt, aber nach der vierten Ecke von vorn. Ich nenne ihn so, weil mir hier die Cucarachas nicht entkommen. Sie haben es nicht anders verdient. Es kracht, wenn ich sie im Sprung mit meiner Holzpantine töte. Sie sind überall im Haus, aber nur im Cucaracha-Gang trifft es sie. Hier ist es nämlich eng genug, und eine Cucaracha saust nur geradeaus. Hier saust sie bloß nach vorn oder nach hinten. Im großen Salon wäre sie sofort verschwunden, der ist zu riesig und es gibt zu viele Cucaracha-Richtungen, Sofas mit hohen Beinen,
Fauteuils, ein Tabernakel und zwei Kamine, alles Hallen und Bunker für Cucarachas. Im Damensalon ebenso, da liegen die Teppichmonster allüberall, die Vorhangbäusche an den Wänden bauschen sich und der gelbe Kamin gähnt gelb vor sich hin. Das macht es der Cucaracha leicht. Weil sie sich nicht entscheiden muss, sondern weil sie dort meiner Holzpantine durch geradeaus Losrasen sofort entkommt. Oder in der Bibliothek, die hat diese Sofas und diese fiatgroßen Samtfauteuils und diese drechselbarocken Kabinettschränke, und außerdem hat sie außer dem Konzertflügel siebzehn verschiedene Richtungen.
Im Cucaracha-Gang geht es aber ganz leicht. Ich werde in dem Moment selber zur
Cucaracha, zur zweiten, die hinter der ersten herrast, und dann zack, krach und schmier. Jetzt ist es wieder geschehen. "Aber mach doch nachher den Cucaracha-Panzer vom Teppichboden weg, ja Schätzel?", ruft mein Vater aus dem abgedunkelten
Fernsehzimmer von seinem roten Stuhl. Er hat erraten, was ich hier mache. Ich antworte nicht, denn ich habe keine Lust, den ekligen Panzer zu nehmen und ihn ins Klo zu schmeißen,
weder jetzt noch nachher. Weil auch unter sieben Lagen Klopapier zu fühlen ist, dass eine Cucaracha aus einer Welt kommt, die man besser nicht anfasst.
"Und warst du denn nun draußen?", ruft Vater wieder von seinem roten Stuhl. Ich gehe zur Tür des Fernsehzimmers. Eigentlich ist es kein Fernsehzimmer, sondern ein
Gästezimmer mit grauem geschnitztem Gästebett für mindestens drei dicke Gäste, einem runden grau
geschnitzten Tisch und mehreren grau geschnitzten Stühlen mit rotem Samtbezug. In einem sitzt mein Vater. Von hinten fällt gestreiftes Licht durch den
Fensterladen auf sein Hemd. Er sieht fern, denn unser alter Fernseher steht in diesem
Gästezimmer. Er könnte auch in dem verspiegelten Schrankzimmer hinter dem Entrée oder in dem runden Saal hinter dem verspiegelten Schrankzimmer hinter dem Entrée stehen, aber meine Mutter hat es so lieber, da muss sie nicht so weit laufen. Obwohl sie nie fernsieht. Vater schon. Wenn er aus der Botschaft nach Hause gefahren worden ist, sieht er manchmal hier fern. Weil er muss. Sagt er. Er muss in dem Holzfernseher flackernde grauschwarze Übertragungen vom Präsidenten Perón sehen, der von einem Balkon
heisere Reden hält. El presidente Perón ruft seine Hallreden von einem grauschwarzen Balkon, und wenn er eine Pause macht, schreien die Leute wie Rauschen zu seinem
Balkon hin. El presidente Perón nennt die Leute "compañeros!, mi pueblo
argentino!", Kam'raden, mein argentinisches Volk!, es klingt blechern und zu laut, und er nennt alles mit einem Ausrufezeichen. Obwohl aus einem Fernseher nichts herausriechen kann, rieche ich el presidente Perón, und er riecht wie Stahl und Pomade, sehr viel Stahl und mehr Pomade. Ich finde el presidente Perón schmierig, wegen seiner Haare. Die sind genauso wie bei den dicken alten Tangosängern. Aber die haben nichts von Stahl. Mein Vater sagt nicht, wie er el presidente findet. Er sieht sich die Präsidentenreden in aller Ruhe und mit etwas Verachtung von seinem roten Stuhl aus an. Weil er wissen muss, wovon die Rede in der Rede war. Sagt er. Das ist ein vernünftiger Grund. Finde ich.
Während Vater die Reden hört, unterhält er sich mit mir, so über dies und das, und er verpasst nicht das Eine und nicht das Andere. Er kann später sagen, was el presidente vor einer oder vor zwei Wochen geredet hat. Er weiß auch, worüber er sich mit mir
unterhalten hat und was ich ihm über den Turnlehrer, über meine Bücher oder über die binomischen Formeln oder über den Schäferhund gesagt habe. Mein Vater vergisst überhaupt nie etwas. Deswegen erzählt er so wenig von sich, das muss er auch nicht, denn er ist ja da.
"Ja, ich war draußen", sage ich, stehe in der Tür und sehe el presidente Perón mit dem Arm fuchteln, während er
"nuestra patria Argentina!" ruft, Argentinien, unser Vaterland. Ich mache das Rauschen des Beifalls in meiner Kehle nach, stoße die Luft mit scharfem Rauschen nach vorne. Das machen ein paar Jungen in der Schule so, Falls einer den Namen von el presidente Perón gesagt hat. Mein Vater lacht, denn in dem Moment stößt der Fernseher das selbe zischende Rauschen aus, den Beifall der Leute. Er sagt, "wie gut, dass man jetzt da nicht auch noch dabei sein muss" und verschränkt die Hemdsärmel vor dem Schlips. "Aber du bist hier in der Straße geblieben?", fragt er dann. Ja, bin ich. Weiter als bis zur Ecke würde ich nicht gehen. Ich habe mir mit dem Hund den Eismann angesehen, der nachmittags durch die Straße hinter dem Garten fährt und diesen jodelnden, kieksenden Eismanngesang
"Heee-lado'helado'helad'oooo!" ausstößt, Helado, Eis. Weil ich keine Ahnung habe, wie er das macht, denn dieses Jodeln gibt es nicht nochmal, das gibt es sonst nirgends, da bin ich sicher. Der Hund hat die Ohren gespitzt, als der Eismann jodelte, er kennt das, man hört es im ganzen Garten, auch hinter dem Tennisplatz, zwischen den Agaven, aus der Weinlaube, aus der Bar in der Glorietta und auch auf dem Dach des Badehauses. Gesehen habe ich den Eismann aber nicht, er jodelt immer aus der anderen Seite des Kastenwagens, bevor er um die Ecke biegt. Ich stand da noch ein bisschen herum, hörte den Eismann weit hinter der Ecke metallisch jodeln, sagte "gib Laut!" zum Hund, aber der hörte nicht.
"Ja", sage ich zu meinem Vater, der dem Präsidenten zuhört und sich gleichzeitig Sorgen macht, weil ich draußen war, "aber nur hinten in der Melo war ich, mit dem Hund. Don Enrique hat mich rausgelassen, er war in der Nähe." Don Enrique ist der Gärtner, er hat keine Zähne mehr und er mäht den Rasen ganz langsam, aber er ist ein Don. "Das ist gut", sagt Vater, "du kannst mit dem Hund ein bisschen auf die Straße gehen, aber du hörst ja, was der Perón da wieder sagt. Das bedeutet, dass man aufpassen muss. Vielleicht können wir am Sonntag in den Reitverein oder auf den San Telmo-Markt gehen, Schätzel, wenn bis dahin nicht wieder was passiert". - "Oh schön", sage ich. Auf dem San Telmo-Markt gibt es Platten für ein paar Pesos mit argentinischen Hits, dafür reicht mein Taschengeld. Es gibt da auch Pistolen, echte. Für die mein Taschengeld nicht reicht. Aber als ich ein paar Monate gespart hatte, bezahlte mein Vater dem Pistolenhändler den großen Rest von 320 Pesos und ich bekam diese Pistole, diese dunkelsilberne mit Holzgriff, die fast genauso war wie eine andere sehr schöne im letzten Winter. Für 320 Pesos gäbe es zwanzig oder dreißig alte Platten. Ich habe ein paar Platten, aber jetzt hatte ich diese Pistole, die war viel besser.
"Nein, das ist ein Revolver", sagte Herr Zipp, der Sicherheitsmann. Herr Zipp und Herr Wichmann kommen mit, wenn meine Eltern mit dem gepanzerten Mercedes aus dem Haus müssen, und sie kommen auch mit, wenn ich bei jemandem eingeladen bin. Ich bin nicht oft eingeladen. Es ist schwierig mit Herrn Zipp und Herrn Wichmann, obwohl sie ganz nett sind, aber daran liegt es nicht. Es ist auch schwierig mit dem gepanzerten Mercedes, mit dem mich Señor Hernandez Morgens zur Schule fährt und mich
Nachmittags abholt. Es ist schwierig mit diesen gepanzerten Mercedesfahrten, obwohl es ein schönes Auto ist, aber daran liegt es nicht. Denn ich kann keinen darin mitnehmen, und nach der Schule woanders hingehen kann ich auch nicht. Manchmal sitzen auch Herr Zipp und Herr Wichmann mit im Panzermercedes. Sie haben Maschinenpistolen in
ihren Aktentaschen, und die sind nie verschlossen. Sie halten sie lässig mit einer Hand, aber nicht lässig genug, denn die andere Hand wartet am Deckel der Aktentasche. Es ist schwierig mit diesen Maschinenpistolen, obwohl sie groß und fett und schießig und gar nicht schlecht sind, aber daran liegt es nicht.
"Nein, das ist ein Revolver", hat Herr Zipp also auf dem San Telmo-Markt gesagt und ihn gemustert, während ich ihn in der Hand hielt. "Englisch oder deutsch, sieht wie ein Armeerevolver aus". - "Aber schießen kann man nicht damit?" habe ich gefragt. "Oh nein", sagte Herr Zipp, "der hat bestimmt ein uraltes Beschusszeichen, und der würde dir glatt um die Ohren fliegen. Da müsste erst mal ein Waffenmeister ran". - "Na ja, Herr Zipp", sagte mein Vater, "der ist für die Wand und zum Ansehen, und übrigens war das bestimmt mal eine Cowboypistole gegen böse Wölfe und Banditen". - "Da bin ich nicht sicher, Herr Botschafter", sagte Herr Zipp, "solche Waffen hatte die deutsche Armee im ersten Weltkrieg, und auch die Österreicher hatten das Kaliber .38 -". - "Ah ja", sagte Vater, "vielleicht leiht mir mein Sohn das Ding mal, wenn Sie frei haben". Herr Zipp lachte, aber Herr Wichmann lachte nicht, denn er passte auf.
Der Revolver schlug mir in der Hosentasche ans Bein, als ich vorhin mit dem Hund
hinten auf der Melo war, aber das sage ich meinem Vater nicht. Er würde nichts sagen, aber es würde ihm nicht sehr gefallen. Der Revolver drückt mir auch jetzt ans Bein, denn ich lehne mit der rechten Seite an der Tür. Es ist ein ganz gutes Gefühl mit dem Revolver in der Tasche. Ich habe zwei leere Patronenhülsen mit Zündhütchen in die
Trommelkammern gesteckt. Die hat mir Herr Mett gegeben. Herr Mett ist einer der Wächter vom Bundesgrenzschutz, der Witze erzählt, die ich nicht verstehe. Manchmal besuche ich Herrn Mett in dem Zimmer hinter der Küche, in dem die Wächter sitzen. Herr Mett raucht sechzig Zigaretten am Tag, is' aus Hamburch und erlebt Abenteuer. Er hat sich einen Jeep gekauft und mit mir mal eine knallige Runde gedreht. Oberarme wie seine habe ich vorher noch nie gesehen. Ich finde Herrn Mett ziemlich nett, obwohl mir irgend etwas an ihm nicht gefällt. Seine Sprache imponiert mir, er redet stark und genau so, als ob er vorhin schon wieder drei Abenteuer erlebt hat. Ganz verstehe ich nicht, was Herr Mett so sagt. Mein Vater redet völlig anders. Sie reden zwar in der selben Sprache, aber diese Sprachen sind noch viel weiter auseinander als Spanisch und Deutsch.
Herr Mett hat mit dem Auge gezwinkert, als er mir zwei leere Patronenhülsen gab. Er hat vorher die Geschosse mit einer Zange herausgezogen. Ich weiß kaum etwas über Herrn Mett, aber ich weiß, dass er das weniger für mich und mehr für sich als Zampano und als Oberarmmensch macht. Trotzdem finde ich es ganz nett von ihm, denn es gibt niemanden sonst, der mir mit einer Zange einfach mal die Geschosse aus scharfen
Patronen rausdreht. Herr Mett hantiert so gern mit den Dienstwaffen herum, er nennt sie so, Dienstwaffen, das ist sein Wort. Die schwarze Dienstpistole P38 baut er in einer
Minute auseinander und wieder zusammen. Wenn er das tut, schwitzt er, seine Finger
rasen und seine Oberarme schwellen an. Er ist zweiundzwanzig. Herr Mett hat einmal in der Nacht in die Wand geschossen. Zehn Kugeln im Bogen aus der Maschinenpistole hat er geschossen, genau kann ich es nicht erkennen, denn die Löcher sind zugegipst, es ist ein flacher Bogen aus vielen ganz flachen rauen Kratern in der rauen Wand, ziemlich hoch oben. Es war niemand im Haus, als Herr Mett das gemacht hat, nein, als es ihm passiert ist. Meine Eltern und ich waren in Punta del Este, die Köchin Marta und das Zimmermädchen Nelida bleiben nicht über Nacht, und Don Enrique hatte seine Töchter in Patagonien besucht. Nur der Butler Miguel hat es gehört, in seinen Zimmern über der Garage hinter dem Tennisplatz, mitten in der Nacht, und er hat es mir neulich erzählt, und auch, dass es Herrn Mett beim Reinigen der Maschinenpistole passiert sei. Weil Herr Mett es ihm so erzählt habe, nachdem er, Miguel, sich nach einer halben Stunde Stille hinten herum ins Haus getraut habe. Sie hätten dann gemeinsam die Löcher vergipst und übergepinselt. Hat Miguel mir erzählt. Er ist dreiundzwanzig, Miguel.
Ich habe Miguel die Geschichte geglaubt. Aber manchmal, wenn ich Herrn Mett so
zusehe, ahne ich, dass er oder Miguel mir vielleicht nicht alles erzählt haben. Warum
sollten sie? Ich bin zwölf und bin hier vom Mond gefallen. Sie sind beide erwachsen,
arbeiten, kennen Frauen, können schießen und wissen, wer sie sind.
Herrn Mett ist auch einmal die Pistole aus dem Gürtel gefallen, und ein Schuss hat sich gelöst. Das ist wieder sein Wort, der Schuss, und dass er sich löst. Im Mauerstück hinter dem Kücheneingang ist seither etwas abgesplittert. Da an der Stelle hatte ich zuvor
gestanden und in den Garten gesehen. Ich stehe hier ziemlich oft, hänge halb über dem Mauerstück und sehe in den Garten. Was soll ich sonst machen. Weil meine Mutter von irgendwoher rief, bin ich weggegangen, durch die Küche und durch die Tür in den Ess-Saal, um den riesigen Tisch herum, in den Salon, und da krachte aus der Küche der Schuss. Meine Mutter kam von der Terrasse in den Salon und wollte nicht, dass ich in die Küche rannte, um zu sehen, was los war. Das durfte ich erst, als Miguel hereinkam und sagte, "es ist alles in Ordnung gnädige Frau, Herrn Mett ist nur die Pistole aus dem Gürtel gefallen". Ich fand das zuerst ziemlich lustig und aufregend. Als ich dann das appe Stück Granit im Mauerstück sah, fand ich es nicht mehr sehr lustig. "Och das abbe Stück Granit", das war wieder ein Wort von Herrn Mett.
Ungefähr an das denke ich, als ich in der Tür zwischen dem Cucaracha-Gang und dem abgedunkelten Fernsehzimmer lehne und meinem Vater nicht erzähle, dass ich den
alten Revolver vom San Telmo-Markt draußen in der Hosentasche hatte. Und dass er in meiner Hosentasche ziemlich revolvert hat. Und dass er jetzt mit zwei Zündhütchen geladen ist. Dass ich ihn so gern in die Schule mitnehmen würde, wo ich vor Vielen Angst habe, erzähle ich auch nicht. Ich lehne in der Tür und sehe el presidente Perón die Arme heben und
"compañeros!" rufen. Seine Haare glänzen klebrig ölig wie nichts sonst. Das Fernsehbild zittert unter dem Geschrei der Leute. Es rauscht in der Kehle des Fernsehers, ich halte meine Hände als Trichter vor den Mund und rausche auch. Vater lacht, nimmt die Arme von seinem Schlips, hört auf zu lachen und wischt durch die Luft. "Ein Land mit johlenden Leuten vor einem Staatschef, der
compañeros! ruft, davor muss man so aufpassen", sagt er, sucht die Aus-Taste, findet sie und drückt sie ins Holz. Der schwarzgraue Präsident Perón zuckt, zieht sich in seine Ölhaare zusammen und verschwindet in einem weißen Punkt. "Hast du die Mathematikarbeit schon
zurück?", fragt Vater. "Nö", sage ich, denn ich habe sie noch nicht zurück. Gut wird sie nicht sein. Davon sage ich aber nichts. "Na, ich muss jetzt noch vier Zeitungen und ein paar Pressespiegel und ein paar dämliche Briefe lesen, also bis nachher", sagt mein Vater, geht durch die Tür und klopft mir im Vorbeigehen über die Schulter.
Ich lehne in der Tür, denke an den San Telmo-Markt, denke an den Cucaracha-Panzer, denke an die Schule. Ich wäre heute in der Schule auch gerne so verschwunden wie Perón in der Mattscheibe, einfach in einem Punkt verschwunden, aber das sage ich
meinem Vater nicht, denn er würde sich Sorgen machen. Und ich könnte ihm das sowieso nicht erklären. Das war nach dem Turnunterricht im Umkleideraum. Nicht während des Turnunterrichts, obwohl der schon schlimm genug war. Turnlehrer ist Herr Kerst, der auch Herr Kerst genannt werden will, wenn er spanisch spricht. Was er kaum macht, denn Herr Kerst spricht deutsch, das ist ein Naturgesetz. Manche sagen, dass Herr Kerst früher Unteroffizier in der Wehrmacht gewesen sein soll. Jorge Ramirez hat das von
jemandem gehört, und Gabriel Taboada hat das auch gehört. Ich weiß nicht, was es ist - Unteroffizier klingt nach nichts Besonderem, aber Herr Kerst ist anders als irgendein Unteroffizier. Er ist auch anders als ein Offizier. Herr Zipp ist ein Offizier, und der ist überhaupt nicht so. Der Oberst Gebauer, der in der Botschaft arbeitet, unterhält sich manchmal mit mir, und auch der ist überhaupt nicht so wie Herr Kerst. Der ist anders. Im Turnunterricht müssen wir marschieren, fünf- oder zehnmal um den Schulhof
herum, immer vor dem Turnen. Manchmal müssen wir auch nur marschieren, ohne zu turnen. Während Herr Kerst nur so dasteht und Kommandos gibt, wie wir marschieren sollen. Wenn er so dasteht, würde es keinem einfallen, vielleicht nicht zu marschieren. Oder nur zu fragen, warum wir marschieren sollen. Auch mir nicht. Ich bin schon froh, wenn Herr Kerst mich nicht bemerkt. Das geht am besten, indem ich genauso
mitmarschiere wie die Anderen.
Aber nicht deshalb wäre ich gerne in einem Punkt verschwunden, nicht wegen Herrn Kerst, seiner Statur und seiner Augen. Vor dem kann man sich ja unter dreißig Jungen unsichtbar machen. Es war im Umkleideraum später. Wo dieser Geruch herrscht, ein bisschen wie Herr Mett wenn er Pistolen zusammenbaut und schwitzt, aber viel schlimmer. Da muss man duschen, was ich nie dort mache. Da zu duschen würde mich unwahrscheinlich viel mehr ekeln als vielleicht einen zertretenen Cucaracha-Panzer vielleicht ohne sieben Lagen Klopapier anzufassen. Der Geruch kommt von Flores und Stañaro, die sind nur etwas älter als ich. Aber wie die riechen, und was für Gewalt von denen ausgeht. Und ich muss da in den Umkleideraum, wo Flores und Stañaro sind und brüllen und muss mich da umziehen. Sie riechen furchtbar und sie bauen sich wie Fleischpanzer vor mir auf und brüllen, und nackt sind sie auch noch und sind so aus Fleisch, und sie haben Haare da, wo ich es widerlich finde und wo ich keine sehen möchte. Brüllpanzer aus Haarfleisch mit Gestank. Wenn die nur irgendwo lauern geht schon hundert Kilo Gewalt von denen aus, die sind wie ein fettes stinkendes Brett, das im Dunkeln durch die Gegend schlägt, und erst Recht hier in diesem Umkleideraum, und ich muss hier hinein, denn da hängen doch meine Sachen.
- Nein, jetzt bin ich nicht mehr in der Schule und im Umkleideraum, jetzt lehne ich in der Tür zum Cucaracha-Gang. Ich huste ein bisschen und finde das alles so zum
Würgen, und dann gehe ich links um vier Ecken, links und wieder links, und dann nach links in mein Zimmer. Da ist nichts. Ich setze mich auf meinen Schreibtischstuhl und überlege. Es ist nichts zu überlegen. Ich bin hier vom Mond gefallen, aber außer mir weiß das überhaupt keiner. Da auf dem Glas liegt immer noch das Buch "Die Mars-Chroniken" von Ray Bradbury, das schon ewig auf dem Glas liegt, das Zimmermädchen Nelida lässt es da liegen. Das finde ich gut. Denn in dem Glas ist ein Avocadokern, der nicht gekeimt hat, und der liegt da schon so als tauber Brocken seit letztem Sommer. Soll er. Im Garten steht ja ein Avocadobaum mit Avocados dran. Der Kern im Glas hat keinen Sinn, der soll ruhig unter Ray Bradburys Buch im Glas liegen und verfaulen. Ich will wissen, wie lange er dafür brauchen wird. Das Buch kenne ich schon, das kann ich entbehren.
Weil hier in meinem Zimmer überhaupt nichts ist, rutsche ich vom Schreibtischstuhl, gehe in den Cucaracha-Gang links, gehe an dem Badezimmer mit schwarzen Kacheln und an dem Badezimmer mit rosa Kacheln vorbei, gehe rechts um eine Ecke, öffne eine Glastür mit Vorhang und gehe in die Bibliothek. Da sitzt mein Vater im Sofa mit einer Zeitung in jeder Hand und einem großen Papierstapel. Ich gehe durch die Bibliothek, gehe am Flügel vorbei durch den Damensalon, in dem niemand sitzt, gehe in den
großen Salon, in dem auch niemand ist. Nur wieder die Ameisen auf dem Teppich. Sie
haben da eine Straße, die Ameisen, nämlich eine Ameisenstraße. Sie quillt von unter einem der Erkerfenster unter Fauteuils und Sofas quer über den Teppich und schräg durch den ganzen Salon zum Kamin, in den sie sich ergießt. Ich bleibe also im Salon stehen und sehe mir die Ameisenstraße an. Das ist eine Ameisenautobahn. Nelida saugt die Ameisen jeden Tag weg, aber zehn Minuten später ist der Schwerlastverkehr in voller Pracht wieder da. Don Enrique und Miguel haben zwei Tage lang alle Ritzen unter den Erkerfenstern, die unter den anderen Fenstern, die neben den Terrassentüren und auch die im und am und über und um den Kamin verspachtelt und vergipst, aber einen Tag später war die Ameisenrushhour wieder da wie immer. Ich stehe auf dem Teppich und denke, dass man wohl nur das allerkleinste Stück der Autobahn sieht. Das allerklitzekleinste. Der Druck von der Fensterseite und der Sog von der Kaminseite müssen sehr stark sein. Vielleicht liegt unter dem ganzen Salon ein Ameisenhaufen, ein Berg von einem Ameisenmonster, ein Monster von einem Ameisenplaneten, und das, was ich hier sehe, ist vielleicht nur ein kleines Gässchen von tausenden Hauptstraßen, Fernstraßen, Startbahnen und Autobahnknoten über-, unter- und ineinander, die sich verzahnen und überkreuzen und die irgendwann den ganzen Salon und das ganze Haus weggenagt haben. Ich weiß nicht warum, aber es gefällt mir, hier zu stehen und mir das zu denken.
Ich mache einen großen Schritt über die rasende Ameisenschneise, gehe zur
Terrassentür, klappe die Fliegengitter zur Seite, gehe über die Terrasse und bleibe da stehen. Ich könnte ins Schwimmbecken springen, das ist ein paarmal so lang wie die Terrasse,
dafür müsste ich nur über die Terrasse und über den Rasen gehen und hineinspringen, links sind die Umkleidekabinen, die sehen wie Grotten aus, oben darüber ist die
Weinlaube, und drinnen hängt vielleicht noch meine Badehose vom letzten Sommer. Aber was soll ich da im Schwimmbecken machen. Ich könnte auch am Wasser entlanggehen, dahinter über den Rasen gehen, mich dahinter in die Glorietta auf einen Sessel setzen und da meine Geschichte über Raumschiffe, Helden und Schlachten weiterschreiben. Das Heft müsste unter der Bar liegengeblieben sein. Ich stehe auf der Terrasse, sehe ganz hinten die rosa Bögen der Glorietta und überlege, ob ich darauf Lust habe. Nein, habe ich nicht. Die Bambussessel in der Glorietta sind staubig, denn da sitzt jetzt im Winter kein Mensch, und ich ahne, dass meine Raumschiffe-und-Monster-Geschichte auch nichts ist. Der größte Held heißt Kommodore Kukuruzin der Koloss, und der Typ ist doof. So heißt keiner. Sollen Kukuruzinkoloss und das Heft mitsamt der Glorietta vermodern.
Ich weiche zur Seite der Terrasse aus, steige rechts durch den Durchlass zwischen den Blumenurnen zu den Bäumen. Da geht es im Zikadendickicht um das ganze Haus
herum. Ich steige durchs Zikadendickicht und um das ganze Haus herum. Zikaden sind jetzt keine zu hören, die hört man erst plötzlich Abends durch alle Wände. Unter dem Gitterfenster der Küche hängt das Seil, das ich mal auf dem Dach an einem Blitzableiter festgeknotet und hier hingeworfen habe. Ich könnte jetzt aufs Dach klettern, an der Mauer hoch und oben über die Balustrade. Aber ich habe keine Lust, denn oben auf dem Flachdach ist nichts als ein riesiger Platz mit zwei Kuppeln und einer Balustrade drum herum, und was soll ich da machen. Also gehe ich weiter ums Haus, bis das
Zikadendickicht aufhört, dann über ein Stück Wiese bis zum Kücheneingang. Ich gehe über die Küchentreppe, sehe Herrn Metts ausgeschossenes Loch im Granit, gehe durchs
Fliegengitter in die Küche und hole mir hinten die Hundeleine. Ich will mit dem
Schäferhund auf die Straße. Nicht wieder hinten auf die Melo, sondern vorn auf die Haedo.
Oder nicht?
Ich könnte auch zum Affengrab hinten im Garten gehen. Es ist traurig da. Dort haben vor langer Zeit ein früherer Wächter und ich einen kleinen grauen Affen begraben, der Tachy hieß. Da war ich zwar noch kleiner, denke ich, und es ist lange her, aber es ist immer noch ziemlich traurig da. An einer anderen Stelle ganz hinten im Garten, fällt mir gerade so ein, habe ich mal ein kleines Hakenkreuz begraben. Unter Flüchen. Weil ich in einem Tom Sawyer-Buch gelesen hatte, dass man etwas sehr Ekelhaftes so unter
Flüchen begraben kann, soll und sogar muss. Das habe ich so gemacht, obwohl in dem Buch keine Hakenkreuze gemeint waren, natürlich nicht. Das Hakenkreuz war vom San Telmo-Markt, von einem deutschen Fliegerabzeichen, das ich da für drei Pesos gekauft hatte. Den Adler auf dem Abzeichen fand ich gut, aber nicht dieses beschissene
Hakenkreuz. Als ich es mit einer Kneifzange abgedreht hatte und begrub, ganz hinten im Garten unter einem toten Baum, habe ich also "verflucht, verdammt, verflixt nochmal" gesagt. Das ist ziemlich lange her, denke ich, und heute würden mir natürlich viel schrecklichere Flüche einfallen, viel furchtbarere, todbringendere und entsetzlichere. Ich stehe in der Küche mit der Hundeleine in der Hand und überlege, ob ich sie wieder hinhängen und ganz nach hinten in den Garten gehen soll, um dieses kleine
Hakenkreuz wieder auszugraben und es dann bei finsterer Nacht und tosendem Gewitter unter fürchterlichen Flüchen und teuflischen Verwünschungen unter dem blakenden
Geflackere einer schwelenden Fackel in schwarzer, gemeiner und verpesteter Erde zu
begraben. Aber ich habe keine Lust. Das kleine Ding ist ja weg. Es war zwar böse, aber es war gleichzeitig ein lächerliches Ding aus Metallguss. Das mir beim Kneifzangedrehen auch noch zerbrochen war.
Die Hundeleine sagt mir, dass der Hund daran festgeleint werden will, um mit mir
vorne auf die Haedo zu gehen. Ich gehe wieder durchs Fliegengitter der Küche, über die Küchentreppe und über die Wiese, dann anders herum an den weißen Sträuchern
vorbei und an der Agave, die höher ist als ich selber und an deren langen bläulichen
Zungenarmenblättern überhaupt keine Dornen mehr sitzen, weil ich sie mit der Zeit alle abgebrochen habe. Es wachsen keine neuen nach und die Bruchstellen sehen aus wie hundert Jahre alt. Der Schäferhund ist hier nicht. Ich gehe über den Kiesweg, über die Kieseinfahrt, über den Kiesplatz zu den Palmen. Da beugt sich Don Enrique mit einem Rechen über den Kies und recht die Palmenblätter weg.
"Buenos días Don Enrique", sage ich zu Don Enrique, "wo ist denn der Hund, ist der hier irgendwo?" Don Enrique lacht, und er hat immer noch überhaupt keine Zähne.
"Buendía niño caro, der Hund liegt da hinten", sagt er und zeigt mir mit der Hand, wo der Hund hinten liegt. Der Hund liegt weit hinten unter der Hecke zur Haedo am Ende des Vorgartens, der kein Vorgarten ist, sondern eine Wiese mehr, nein ein Rasen mehr, der bis hinten reicht. Da liegt der Hund, ein Punkt aus Fell. Wenn ich da durchginge und dann beim Hundepunkt nach rechts immer geradeaus, käme ich zu den Garagen mit dem alten Cadillac und zu meiner
Versteckgrube unter dem Cadillac und dann zu den Tennisplätzen, wo ein paar
Geräteschuppen mit kaputten Sägeblättern, alten Eisenpumpen, Kellerasseln, kleinen
Kakerlaken und großen Cucarachas vermodern, aber darauf habe ich keine Lust.
"Lassen Sie mich bitte mit dem Hund raus, Don Enrique?", frage ich. "Hm, hm", sagt Don Enrique und lacht. "Nur bis zur Ecke", sage ich, "der Hund will bestimmt auch mal wieder auf die Straße". - "Nur bis zur Ecke?", fragt Don Enrique. "Nur bis zur Ecke", sage ich und warte.
"Bueno, vaya con diós, aber nur bis zur Ecke", sagt Don Enrique, lacht nicht mehr, zieht aber den Schlüssel aus der Hosentasche.
Der Hund kommt angerannt. Don Enrique schließt mir die Eisentür auf der Seite auf, sieht sich die Straße an und sagt, "ja, dann schneide ich jetzt hier so lange die Hecke." - "Danke", sage ich und bin mit dem Hund draußen.
Wir gehen an der Hecke entlang. Am Ende der weißen Mauer steht der Flaschenbaum mit dicken gebogenen Dornen auf der Rinde, ich breche mir einen Dorn ab und stecke ihn in die Hosentasche. Der Hund setzt sich. Wir starren auf die Villa gegenüber der Kreuzung. Es ist nicht wirklich eine Kreuzung, denn die Straßen sind abgesperrt, und es ist nicht wirklich eine Villa. Es ist
La Quinta. Da wohnt Perón. Vor dunkelgrünen Stahlplatten stehen Wachen mit Maschinenpistolen im Arm, und von
La Quinta sehe ich nur das Dach, Ziegeln im Kolonialstil wölben sich hinter Palmen. Der Hund starrt hin. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht, weil es von dort nach Macht riecht. Er sitzt und starrt, und die Schlitze in seiner Nase bewegen sich. Er riecht die Macht. Ich starre wieder hin und sehe sie. Man hört sie nicht und man sieht sie kaum, aber sie lauert da und brütet.
Der Hund und ich lungern weit auf der anderen Seite der Kreuzung und starren. Ich lungere ganz unauffällig, und auch der Hund lässt sich nichts anmerken. Einmal hier an dieser Stelle haben wir genauso gewartet, wie zwei Schatten neben dem Flaschenbaum mit den Stacheln, als eine Armee aus schwarzen Autos auf
La Quinta zugerast kam, eine Stoßstange an der anderen. In der Mitte raste das Auto der Autos, ein Schlachtschiff von Karosse, schwarz mit Heckflossen, überall Chrom und blau-weiß-blaue Nationalflaggen und verdunkelte Scheiben. Das Stahlplattentor hat alles in vollem Tempo verschluckt. Es war so schnell vorbei, dass ich kaum etwas gesehen habe. Nur einen Schatten hinten im Schlachtauto sitzend -
el presidente. Ein bisschen schwarzer Schatten als Klumpen auf dem Rücksitz hinter fast schwarzen Scheiben.
El presidente, el caudillo, el maximo líder - der Präsident, der Generalissimus, der allergrößte Führer. Schon vorbei.
Jetzt kommt Perón nicht. La Quinta brütet vor sich hin, und nichts passiert. Die Wachen stehen und starren, auch der Hund starrt, und nichts passiert. Weil jetzt die Zikaden anfangen mit ihrem Zikaden-Gekreisch, lösen wir uns aus dem Schatten und gehen
zurück.
Ich mache im Garten den Hund los und sage ihm durch die kreischenden Zikaden, dass Perón wahrscheinlich verreist ist und uns eh vergessen hat, und gehe ums Haus durch die Terrassentür und durch die Salons zur Bibliothek. Mein Vater sitzt noch auf dem Sofa, in jeder Hand Papiere und Zeitungen, die Lesebrille auf der Nase rutschend. Ich will ins argentinische Lexikon abtauchen, ziehe Band neun aus dem Regal und lege mich auf den Teppich. Da stehen seitenweise Beschreibungen von Marsraumschiffen, die es überhaupt nicht gibt. Ich tauche gerade in den Marsraumschiffen ab und ihre
Ionenantriebe fauchen mir ins Gesicht - als mein Vater vom Sofa laut knurrt und eine
Papierkugel auf den Boden schmeißt. "Was denn?", frage ich vom Teppich aus den
Ionenantrieben. "Ach", knurrt mein Vater und tritt nach der Papierkugel, "unglaublich. Die wollen doch - solche Leute". - "Was für Leute denn?", frage ich, und die
Marsraumschiffe verschwinden. "Ach, es gibt doch hier diese Nazi-Zeitung,
'Der La Plata-Ruf'. Die hast du nie gesehen, Schätzel, und vergiss besser, dass es die gibt. Da schreiben alte Nazis, und nur alte Nazis lesen die. Ganz scheußlich halt. Und die Nazis schreiben mir jetzt einen Brief, dass sie nicht zum Frühlingsempfang in die Botschaft kommen wollen, wenn die Juden da auch eingeladen sind. Da steht's"- und Vater tritt wieder nach der Papierkugel. "Dabei hab ich die Nazis natürlich nicht eingeladen. Die wurden noch nie eingeladen. Ich kenn die nicht. Jetzt schreiben die mir aber einen Brief und tun so, als wären sie eingeladen. Das haben sie auch so in ihren
'La Plata-Ruf' reingeschrieben, und die quatschen da, dass sie stolz drauf sind, nicht zu kommen, wenn die Juden
eingeladen sind. Na wie scheußlich, na sowas". Mein Vater schmeißt die Lesebrille neben sich aufs Sofa, knurrt nochmal "na scheußlich", und das Sofa knackt.
Ich liege auf dem Teppich, sehe auf das blaue Muster und mir kommt der Gedanke, dass das Leben gar nicht daraus besteht, in die Schule zu gehen, durchs Haus
nirgendwohin zu irren, manchmal im Reitverein über Sand zu galoppieren, mich vor
Klavierstunden zu drücken, fantastische Geschichten auszudenken und sie zu vergessen, Herrn Mett und seine Maschinenpistolen zu besuchen, Don Enrique zum Tor Aufschließen zu überreden und vom Mond gefallen zu sein. Das Leben ist zum Beispiel das, was mein Vater macht, oder nicht? Aber bei solchen Nazis bin ich doch aufgeschmissen. Die würden mich zerquetschen. Schon vor dem einzelnen Herrn Kerst bin ich kleiner als eine Cucaracha. Ja nur vor Flores und Stañaro bin ich höchstens so groß wie ein Hund, dabei sind das einfach ganz normale Rabauken, kaum älter als ich. Was soll ich im Leben nur machen. "Musst du denen jetzt auch einen Brief schreiben?", frage ich meinen Vater. Er greift nach der Lesebrille und schmeißt sie auf die andere Seite des Sofas. "Nein, das kann man nicht machen, Schätzel", sagt er, "die bekommen keine Antwort. Das wollen die doch nur. Die wollen, dass man selber auf ihrer Ebene agiert. Um dann irgendwas darüber in den
'La Plata-Ruf' reinzuschmieren. Ganz egal, vergiss die lieber wieder, wir kennen die nicht." - "Und kennen die uns?", frage ich vom Teppich hoch. Vater fischt sich die Lesebrille vom Sofa. "Neeein", sagt er dann, "die kennen nur ihr erbärmliches Käseblatt, und die wissen nur, wo sie sich ihr scheußliches Eisbein und ihre ekelhaften Speckbrote kaufen können. Sonst kennen die doch nichts".
Ich sehe auf das Rankenmuster des Teppichs vor meinem Lexikon und stelle mir vor, wie ich auf den blauen Ranken immer schneller seitlich und in Rankensprüngen laufe, immer von einer Ranke zur anderen Ranke und von einer Links-Ranke zu einer Rechts-Ranke und immer so weiter und immer schneller über Ranken oder übers Leben oder über irgendwas Blaues, und die Ranken hören nicht auf, und der Teppich ist riesig und verliert sich hinten im Raum.
- Es ist eine Woche später. Heute ist auf einmal alles anders. Es fängt auf dem Schulweg an, schon an der Ecke kommt der Panzermercedes kaum durch quer abgestellte Autos und Menschenmassen, und viele Leute stehen mitten auf der Straße und weinen. Im Autoradio wird Bach gespielt, ich drehe am Knopf, auf allen Sendern Bach, Bach und Bach. Leute laufen mit großen Perón-Fotos und blau-weiß-blauen Flaggen herum wie betrunken. Die Schule ist geschlossen, es hängt ein Zettel an der Tür,
cerrado por razones del luto, geschlossen aus Gründen des Trauerfalls, und das Papier zittert vom Lärm der Leute hier auf der Straße. Der Mercedes fährt zurück, Señor Hernandez nimmt Schleichwege, und überall im Radio Bach. Im Haus steht die Spiegeltür zum Cucaracha-Gang offen und das Gästezimmer-Fernsehzimmer ist voller Leute. Meine Eltern sitzen, auch Don Enrique und die Köchin sitzen, und davor und dahinter stehen die
Anderen. Der Fernseher dröhnt von Menschenlärm und von einer tränenerstickten
Sprecherstimme, die immer wieder "...el teniente general, Juan Domingo
Perón" sagt, es klingt erstickt wie alter Tangogesang mit Tremolo. Jetzt schon wieder
"...el teniente general, Juan Domingo Perón", und den Ausdruck
teniente general schiebt der Sprecher so über den Gaumen.
Ich dränge mich nach vorne. Da liegt Perón in Grauweiß in einem grauschwarzen Perónsarg, daneben ein Berg aus Blumen, überall Berge aus Blumen, es ist eine Halle, die in Bergen aus grauweißen Blumen und Echos aus Menschenlärm verschwindet. Perón liegt dick wie ein Tangostar in seinem Sarg und seine Perón-Nase ragt in die Luft. Da fasst einer über Peróns Gesicht. Er wischt Peróns Gesicht ab, mit einem Taschentuch. Die Stirn und dann die Backen. Meine Mutter fährt zusammen. "Ob der schwitzt?", flüstert sie zu meinen Vater. "Wird er wohl", murmelt mein Vater. "Das wird später im Geschichtsbuch stehen", sagt meine Mutter zu mir, "dass gestern der Perón gestorben ist, das war gestern der erste Juli 1974". - "Nu, halt in argentinischen wird's stehen", murmelt Vater. Mutter fährt zusammen. "Sieh doch, die wischen wieder", flüstert sie. Zwei Taschentücher tupfen jetzt das Peróngesicht ab, und die zwei Wischer unterhalten sich quer über den Perónsarg rüber. Da kommen zwei andere, die nicht
wischen, aber sie unterhalten sich auch quer über den Perónsarg rüber, lauter als die Vorigen, und man hört sie im Fernseher. Jetzt beugt sich einer über den toten Perón und küsst ihn ganz schnell. Dann der Andere. Mit einer Hand stützt er sich auf den Sargrand und küsst das Peróngesicht langsam, so wie ein schlafendes Jesuskind. Meine Mutter fährt zusammen, schaudert und schüttelt sich. "Wer sind denn die, kennst du die?", zischelt sie zu Vater.
"Nee", sagt Vater.
Jetzt drückt der Sprecher die Stimme in die Höhe, er sagt, dass "el presidente, el caudillo, el maximo líder" - der Präsident, der Generalissimus, der allergrößte Führer, in der ganzen Welt bedingungslose Verehrer hatte und welche Wunder er für
la patria! Argentinien und für seine compañeros! getan hat, und er sagt wieder
"el teniente general, Juan Domingo Perón". - "Was ist ein
General-teniente?", frage ich Vater. "Ein Generalleutnant", sagt er und hat die Arme vor dem Schlips verschränkt.
Don Enrique sieht starr auf den Fernseher, Miguel ist blass, Herr Mett hat runde Augen, und Nelida geht jetzt aus dem Zimmer. "Was wird denn nun geschehen, Herr
Botschafter?", fragt einer von den Sicherheitsbeamten. Mein Vater räuspert sich. "Frau Isabel Perón wird jetzt Präsidentin, das ist Regierungsbeschluss. Sie wird dem Premierminister Lopez-Rega Vollmachten übertragen. Lopez-Rega wird die Montoneros und die ERP weiter mit seinen Truppen blutig bekämpfen, und die werden das Selbe machen. Das Versammlungsrecht, das Presserecht, die Justiz werden weiter eingeschränkt werden. Was die Militärs tun werden, wissen wohl nur die Generäle. Und Sie haben leider bis auf Weiteres nicht mehr dienstfrei, meine Herren, auch nicht Nachts, das tut mir Leid." - "Sieh doch, Peróns Schminke zerläuft", flüstert Mutter und hält sich an der Stuhllehne und am Arm meines Vaters fest. Ich sehe hin, und da auf Peróns grauweißer Backe ist ein kleiner hellerer Strich, der nach unten länger wird. Einer aus dem Menschenlärm wartet, bis ein Anderer die andere Perónseite fertig geküsst hat, dann wischt er schnell mit dem Taschentuch über den Strich drüber, er wischt von unten nach oben, und als er genug gewischt hat, sieht man eine ziemlich helle Wischspur von der Perón-Nase bis zum Perón-Ohr.
"Unser Fernseher ist alt, aber was für ein scharfes Bild der immer noch hat", flüstert
Vater zu meiner Mutter. Sie nickt und flüstert "ja, ein Loewe-Opta eben, mit dem haben wir drei den Adenauer und den Kennedy und den Eisenhower und '69 die Mondlandung gesehen, und jetzt auch noch den armen Perón mausetot und geküsst".
Aber jetzt steht sie auf und geht auch aus dem Zimmer.
Ab jetzt nur noch mit Schmock
(2005)
1.
Als Mann besitzt man ein Körperteil, genannt Schmock. Aber das stimmt nicht, denn der Schmock wird erst zum Schmock, so bald er weniger vollständig ist, als ihn die
Natur oder wer auch immer gedacht hat. In dem Sinn vollständige Schmocks sind also
keine Schmocks, sondern bestenfalls, hm, Schwänze. Wobei ich immer zu wählerisch war, um das Wort zu verwenden. Vorher. Am Montag vor drei Wochen um zehn Uhr dreißig im jüdischen Krankenhaus im
Berliner Wedding fiel mir auf, dass ich nun ein angemessenes Wort für das Körperteil wusste, das Andere wohl irgendwie benennen, das ich für mich jedoch bisher gar nicht benannt hatte. Ich habe also seit Montag vor drei Wochen um zehn Uhr dreißig nichts Namenloses mehr, sondern einen Schmock. Ab jetzt nur noch. Und er ist in einem Zustand sondergleichen. Der Zustand, in dem er vorher war, also ohne ein Schmock zu sein, war kein Zustand, denn um einen Zustand zu haben, muss etwas anders sein, sonst herrscht kein Zustand, sondern einfach das Sein, und das
benennt man ja auch nicht, denn es ist nicht anders, sondern so, wie es ist, und an Hannah denke ich nicht.
Keine Ahnung, was das für ein Schmock ist, den ich da habe. Ich werde in diesen Tagen und Wochen aus Schmerzen und aus Schmerzen und aus Schmerzen selber immer mehr zum Schmock, das Schmocksein-Dasein, Alles geht immer mehr nur noch darum, in wüster Ausschließlichkeit, ein Meter achtzig reduziert sich auf ein paar
Quadratzentischmocker, ein bisschen Belesenheit vergisst sich und will nur noch diese Schmerzen vermeiden, will immer andere Schmerzen vermeiden, immer neue, das Interesse an schmerzlos Anderem und Eigenem hat nie existiert, dieses rasende Stechen und Reißen des Moments wegzuschlucken wird wichtiger als die Arbeit an meinen Texten und überhaupt als Arbeit, wichtiger sogar, als mal was zu essen oder mich zu rasieren oder wasweißich, vom Lernen der Parascha ganz zu schweigen, wichtiger als Alles also, und leider weiß ich das genau und das treibt mich bloß noch zur Weißglut und ein Ende ist ja nicht abzusehen und ich glühe einfach weiß vor mich hin und an Hannah denke ich nicht. Ich heule vor Schmerzen auf, wenn der Schmock wie auch immer hängt. Unfug. Mein Schmock hängt nicht, kann er gar nicht hängen oder liegen, er existiert irgendwie im Raum außerhalb der Hose, sein Zustand ist mit mir vollkommen deckungsgleich, das hält mich in Weißglut und mehr gibt es eigentlich nicht darüber zu sagen. Aber ich versuche es mal, in mehreren Kapiteln, denn das lenkt mich ab, und schließlich, man
mag's kaum glauben, sollen andere Leute über noch Verschmockteres geschrieben
haben, schau an.
2.
"Und wie war's", fragt Nils schließlich dünnlippig, als wir uns bei Dunkin Donuts treffen, da sitzen wir seit ein paar Minuten auf mächtigen roten entsetzlichen
Kunstlederpolstern, nein, er sitzt, und nur nicht an Hannah denken, und ich hocke entsetzlich, und die Farben sind hier alle so purpurn und bräunlich und opelrot, und ich habe einen Schmock seit zwei Stunden und achtundvierzig Minuten, und ein zu schick gekleideter Araber unterhält sich brüllend über zwei Tische mit einem stillen, und der Kaffee
versucht einigermaßen zu schmecken und schwappt in Pappbechern, und ich halte mich an einem Bagel fest mit cream cheese und Lachs, aus Gründen der Tradition.
"Kannste ja auch machen, für hundertfuffzich Tacken biste dabei", sage ich flapsig und ziemlich
gegen meine Gewohnheit. Ich überlege, ob die beiden Araber auch Schmocks haben, denn irgendwas müssen sie ja haben und irgendwas muss ich
überlegen gegen das Brennen und Puckern und Reißen, denn Nils sagt nichts und der eine Araber brüllt auf
Arabisch vor sich hin und das Licht sickert grell über diese Farben hier drin und ich hocke entsetzlich auf dem roten Kunstlederpolster, da muss man sich ja etwas
überlegen, um nicht anzufangen zu schreien. "Sofern die beiden Araber aus dem Maghreb kommen, haben sie womöglich un chmoque, nein, deux
chmoques", überlege ich also. Aber dieses gebrüllte Arabisch ist einfach nur ein Wust aus Lauten, keinerlei frankophone Brocken dabei, also sind das Jordanier oder Syrer oder so, und die haben dann quelques chmoques auf jordanisch oder syrisch und frankophon ist hier gar nichts, das ist was für die rue des Rosiers und die ist hier wirklich nicht.
"Danke, kein Bedarf", sagt Nils und lächelt dünn. Ich begreife, dass das seine Antwort auf meine
flapsige Antwort ist und dass nur ein paar Momente vergangen sind. Ich drehe mich
langsam auf dem roten Kunstlederpolster, um etwas weniger entsetzlich zu hocken. Gleich liegen ja die drei Stunden Rückfahrt an, entsetzlich, ich übe schon mal.
3.
Es ist zehn Tage später und ich versuche, nicht vor Schmerzen aufzuheulen, wenn ich um die Ecke schleichen muss, um Milch und Müsli fürs Frühstück und etwas Brot für später zu kaufen, es sind nur zwanzig Meter zum Penny an der Ecke, aber diese
zwanzig Meter sind fast nicht zu schaffen und zurück muss ich ja auch noch. Vor drei Tagen war ich bei einer Lesung, weil Tina da aus ihrem diese Woche gedruckten Roman liest, und der ist großartig, der ist so großartig, dass er mich von meinem Schmock abgelenkt hat, das hat als Einziges dieser Roman geschafft und sonst gar nichts. Die U-Bahn geht genau von Haustür zu Haustür und trotzdem hätte
ich's nicht tun sollen, auf keinen Fall, aber ich muss doch da hin. Als ich wie ein frisch,
unsichtbar und halbtot Ritual- bzw. Kriegsversehrter viel zu spät im Foyer stehe, rennt Tina vorbei und ich würde ihr gern um den Hals fallen, aber das lasse ich lieber, denn sie würde an den Schmock stoßen und das, also das geht gar nicht. Es geht
nichts, es geht eigentlich weder vor noch zurück.
Am nächsten Abend droht wieder eine Lesung, und da muss ich hin, muss, weil Lars, der auch einer von den Guten ist, eine Geschichte über einen Hauke lesen will, der dick, hässlich und behindert ist, und die muss ich hören. Es ist dunkel, besser so, keine Ahnung, wie ich es bis dorthin schaffen soll und geschafft habe und keine Ahnung,
wieso ich nicht sechs Meter hinter der Haustür umkehre wie ein normaler Mensch, und mir laufen die Tränen und ich versuche, nicht zu schreien, keine Ahnung, wofür all diese Nerven in meinem Schmock und mir sitzen und Dorn-bohrt-rum-in-rohem-Fleisch spielen und warum ich mich da im Schmock zentriere und es nicht aufhört. Meine Hosentasche hat ein Loch und das ist die Rettung, mit dem Schmock in der hohlen Hand schleiche ich durch die Dunkelheit in Richtung Lesung, und so muss ich nicht mehr versuchen, nicht zu schreien, nur nicht zu winseln, das ist auch nicht so leicht, und hoffentlich treffe ich jetzt niemanden, was sollte ich ihm/ihr erklären, und Hannah treffe ich auch nicht, und die Schlammwege zwischen U-Bahnstation und Amandastraße dehnen sich ins Unendliche und Weißglühende und die Lesung hat schon ewig angefangen, als ich
ankomme und mich langsam langsam auf einen entsetzlichen schwarzen Holzstuhl setze, und meine hohle Hand muss ohne Sinn auf dem Knie liegen, denn bei einer Lesung kann man nicht einfach so seinen Schmock in der Hand halten, das macht
keiner, und meine Contenance hindert mich daran, das Richtige zu tun, sondern sie zwingt mich zu
überlegen, was wohl die Leute denken, und dort, wo mein Schmock sein müsste, ist
irgendwas glühend heiß und verdampft. Und zurück muss ich auch noch.
4.
Es ist knapp drei Wochen nach diesem Montag zehn Uhr dreißig, und Schabbat Sachor ist heute, ich habe wieder kaum geschlafen und sitze auf einem entsetzlichen Holzstuhl und vorn erklärt der Rabbiner, warum der Tag heute
Sachor heißt, Erinnerung, und er hat auch einen Schmock, aber das sagt er nicht,
denn weshalb sollte er. Der Rabbiner
erzählt über das heutige Thema, nämlich das Paradoxon, sich daran zu erinnern, dass man Amaleks und Hamans Hass vergessen soll. Das kann ich sofort bestätigen, denn ich setze mich langsam etwas anders hin, um zu vergessen, wie
hassenswert entsetzlich ich hier sitze. "Und wie
geht's dir so", fragt Deborah mich von hinten. Ich drehe mich halb um und sage mit Verzögerung,
"ach, ganz gut". Sie sieht mir mit trockenem Zweifel ins Gesicht und sagt,
"das ist eine ziemlich diplomatische Antwort." Annette neben ihr nickt freundlich. Lidia sagt,
"nu, warum soll er nicht diplomatisch antworten?" - "Ich hab mir gestern selber paar Fäden
gezogen", sage ich versuchstriumphierend zu
Deborah. "Es ging eigentlich. Ist viel besser jetzt. Ich bin aus Eisen, das muss man erstmal
rausgefunden haben. Wie
findst'n das?" Ich bilde mir ein, dass Deborah um eine Nuance blasser wird, aber das ist Einbildung,
denn sie ist souverän und wird nicht blasser. Geschieht mir ganz
Recht. Ich lächele ihr ein Kann-man-nichts-machen-Lächeln zu und drehe mich langsam wieder um, und vorn will der Rabbiner jetzt
Lecha dojdi* singen, das ist gut, denn Alles oberhalb der Gürtellinie ist gut und
Lecha dojdi baut mich auf und Hannah singt es sicher auch gerade, aber an sie denke ich ja nicht.
* "Komm, Geliebter, lass uns die Braut empfangen..."
5.
Dass es jetzt besser wäre, stimmt nicht. Aber das mit den Fäden stimmt. Am Tag vorher war das Reißen und Stechen nicht mehr
auszuhalten. Ich versuche mich ja nicht
anzustellen, aber das ist wirklich nicht auszuhalten, und ich kann ja nicht dauernd mit dem Schmock aus der Hose und im Raum
herumlaufen. Etwa auf dem Weg zur Bank und zurück geht das nicht, denn
was sollten die Leute denken. Da muss die Stacheldrahthose eisern
geschlossen bleiben. Es reißt und brennt und sticht und dampft in jedem der zwanzig Fadenlöcher, alle zwanzig doppelten Fadenenden
haben sich im Mull verheddert, das ich um den Schmock gewickelt habe. Immer, wenn ich zu Hause den oder das Mull wieder abwickele, haften kleine Stücke von mir dran, und ich pfeffere das oder die Mull oder Müll mit Wucht auf den Boden, aber es scheppert nicht mal und seine Wucht übt derdiedas Mull nur an meinem Schmock aus, und die dünnen Damenbinden, die Wolfgang und Igor mir empfohlen haben, weil sie so gut seien, die sind gut, aber die halten ja nicht, die sind nach zehn Metern wieder ab, egal, wie viel Klebestreifen oder Paketklebeband oder Duck Tape ich drum rum
geklebt habe. Wahrscheinlich bin ich zu doof zum Damenbinden Festkleben. Baby müsste man sein, die kriegen am achten Tag nach ihrer Geburt einen Schmock verpasst, und Windeln sind wunderbar weich und die halten einfach so, die gehen nicht ab, und der
Babyschmock heilt in drei Tagen, während sein Besitzer rumliegt und pennt.
Gut, dass ich wenigstens zu Hause arbeiten kann. Nicht auszudenken, wenn ich
woanders hin müsste. Als ich zurück von der Bank bin, nein, als ich zurück von einer
Expedition durch ein Schussfeld aus glühenden Nadeln bin, reicht es mir. Der Schmock
versteckt sich, ihn aus der Hose zu kriegen ist fast nicht möglich, ich brülle, denn hier in der Wohnung kann ich brüllen, da hört mich
keiner. Sofern doch, ist das ein
anonymes Gebrüll, das geht ja, wenngleich es schon seit drei Wochen geht, Nachts auch, aber hier ist ja St. Pauli, hier geht das. Merkwürdig, dass die Quälerei gleich aufhört, so bald der Schmock draußen im Raum ist, nur noch das Gefühl von Hitze hält für eine Stunde an, es glüht, aber immerhin reißt und sticht es nicht
mehr sehr. So ein Schmock ist nicht
gemacht für ein Hoseninneres, das ist gegen seine Natur. Wenn er denn überhaupt eine Natur hat. Ich glaube ja nicht. Dann ein Becher warmer Kamillentee, zum
achtundachtzigsten Mal mindestens, da hängt der Schmock drin, und das tut er nur, weil ich ihn dazu zwinge, denn so ein geschwollenes Dasein kann weder hängen noch stehen oder liegen, sondern es kann einfach nur seiend im Raum sein, aber Kamillentee kann das nicht, der kann nicht aus dem Becher und also muss der Berg zum Philosophen hin und mit Hannah hat das wieder nichts zu tun.
Vor dem Computer ist ein schöner, heller Platz, da sitze ich und arbeite und brülle ein bisschen, während der Schmock trocknet. Als er trocken ist, erinnere ich mich, dass es jetzt reicht. Ich ziehe die kleine präzise scharfe Papierschere aus der Schublade und schiebe ihre Schneiden um den ersten der zwanzig kleinen Zwirnsfadenknoten, die sich rund um den Schmock einschneiden. Ohne diese Knoten kann Alles nur besser werden, nicht? Es kann ja Alles ohnehin nur besser werden, entsetzlicher nicht, also muss es
ohne Knoten besser werden, das ist logisch.
Die ersten paar Knoten im Schmock sind ganz gut abzuschneiden. Ich darf nur nicht danebenschneiden,
das wäre das Ende. Aber das Licht ist exzellent, ein ganz exzellentes
Döblinsches Operationslicht, die Hinterhäuser auf der anderen Seite werfen die Sonne ohne Schatten zurück, und übrigens stehen diese Hinterhäuser in der Schmuckstraße, so heißt die, und das kann kein Zufall sein. Wäre also schön dumm,
unter den Umständen keine Knoten abzuschneiden. Gute kleine präzise scharfe Papierschere. Die nächsten Knoten werden
schon schwieriger, rundum ist alles
zugeschwollen, es sieht aus wie gesteppt und ganz unten drin lauern die Knoten aus weißem Faden, der weiß sein sollte,
aber nicht weiß ist. Was ist das. Da hängen Stückchen von mir dran, das
ist die erste Stufe zum Zombie und nun reicht es mir. Ich schnibbele die Mischung aus verklumpten Knoten und mir selbst so vorsichtig ab, wie es geht, und da bleibt etwas zwischen den guten kleinen präzisen scharfen Schneiden hängen und als ich ziehe, habe ich da ein krummes Stück weißen Faden in der Schere festhängen, einfach weißen Faden, ein krummes Stück, ganz ohne Eiter oder Blut oder sowas Scheußlichem dran, einfach ein krummes Stück weißen Faden. Weißen
Fadens, hätte Döblin gesagt, aber der hatte sowas nicht in seinem Schmock.
Ich halte die Beute ins Licht und freue mir einen Ast ab, der Faden geht raus, den kann ich einfach so rausziehen, ich muss keine sechs Wochen warten, bis der sich von selber aufgelöst hat, sechs
Ewigkeiten, das ginge nicht, jamais jamais, das ist nicht drin, ist es einfach nicht, nicht in diesem Leben und nicht in diesem Universum. Wenn mir gerade jemand zusähe, müsste das ein ziemlich merkwürdiger Anblick sein,
da sitzt einer mit Doktor-Frankenstein-Schmock und kräht freudig über
ein
Beutestück krummen weißen Fadens, wie Döblin gesagt hätte. Ich hole mir schnell aus dem Bad die Pinzette, halte sie in den Rest Kamillenteewasser, lasse es kochen, fein, jetzt sind keine bösen Pantoffeltierchen mehr dran, und zurück damit zum Operationsplatz, da sind zwanzig Fäden, nein nur neunzehn, die rausgezogen werden wollen. Die Pinzette ist ein wunderbares Exemplar ihrer Art, silbern und präzise und exakt, ein krummes Stück weißen Fadens nach dem anderen erbeutet sie, eins nach dem anderen, schön vorsichtig rausgezogen, eins nach dem anderen, und nirgends ist Blut dran oder Eiter oder irgend sowas Scheußliches, das sind einfach nur Stücke krummen weißen Fadens, die ich mit Döblinscher Hilfe aus meinem Schmock rausziehe, der war Arzt, der hätte das auch gemacht, aber der musste nicht, und auf dem Fußboden vor mir liegt schon ganz schön viel krummer weißer Faden, und ich ziehe Alles raus,
alles raus bis das Stück Fußboden voll ist.
6.
Nach einem neuen Kamillenteebecher, der zum G"tterbarmen brennt, aber das muss ja so sein und G"tt will ich lieber nicht erwähnen, denn der hat sich das ausgedacht und wie er um G"tteswillen darauf kam, weiß niemand, nicht einmal Hannah, aber an sie denke ich nicht, und also nach dem neuen Kamillenteebecher fege ich mit der
Handkante die Stücke krummen weißen Fadens vom Fußboden zusammen und schmeiße sie weg. So ähnlich war es im Krankenhaus auch, an eben dem Montag vor knapp drei
Wochen, da war auch vom Wegschmeißen die Rede. Da liege ich in grüne Tücher
eingehüllt auf dem Tisch und spreche die Broche (den hebräischen
Segensspruch) mit, die Herr Hoz, der Arzt, spricht, als er anfängt zu schneiden,
Boruch ato adonoi elohejnu mejlech ho'ojlom, ascher kidschonu bemitzwojssaw we
ziwonu al ho miloh, das kann ich ja, denn mit Vollnarkose könnte ich das nicht, aber ich will keine Vollnarkose, vor der hab ich Angst und ich könnte die Broche nicht mitsprechen, und Hannah kann die auch, aber ich denke bloß nicht an
sie sondern denke an Anderes im Stakkato, und also liege ich nach mindestens fünf riesigen Spritzen in das, was bald mein Schmock werden wird, auf dem Tisch und spreche die Broche mit.
"Herr Hoz,
hat's sehr geblutet?", frage ich in die Luft, als er nicht mehr schneidet.
"Nee,
hat's kaum", höre ich Herrn Hoz. "Und was machen Sie jetzt mit dem Stückel, schmeißen Sie das
weg?", frage ich. "Yep", sagt irgendwo Herr Hoz, "das schmeißen wir zack in den Müll."
- "Sehr schön", sage ich.
7.
Ich komme schon wieder zu spät, aber nicht zu einer Lesung, sondern ins Elysée, da sitzen seit Punkt fünf meine
lieben Eltern und wollen essen, und ich komme nicht vorwärts, es ist Viertel nach fünf und man lässt seine Eltern nicht warten, wenn sie Hunger haben, aber ich kann hier nicht meinen Schmock in die hohle Hand nehmen, nicht am Tag und auf der Rothenbaumchaussee
und vor den Eltern wahrscheinlich auch nicht. Als ich im Elysée ankomme, sitzen meine Eltern da, sie haben noch gar nicht so viel Hunger, immerhin. Ich murmele etwas von U-Bahnen, die nicht kamen, und ich murmele nichts von Hannah, denn über sie murmele ich nichts. Als ich mich an den Tisch setze, ist irgendwas anders, mein Gesicht, ich merke, wie es sich verzerrt.
"Mais qu'est-que t'arrive, was ist los?", fragt meine Mutter. Jetzt muss ich mir was ausdenken, ganz schnell, je schneller desto besser, jede Verzögerung ist verdächtig.
"Die Blase oder so", sage ich, "irgendwie
war's wohl kalt und jetzt tut sie weh, es ist aber schon besser." -
"Du musst zum Arzt gehen, cher fiston", sagt mein Vater, "zum Dessauer, warum biste denn noch nicht zum Arzt gegangen, zum Dessauer?"
- "Weil's ja schon besser ist", sage ich. "Was ist denn
wieder mit deinen Abwehrkräften los?", fragt mein Vater, "sowas an der Blase kriegt man eigentlich nicht, isst du auch genug Obst?"
- "Ich esse nichts Anderes als Obst", sage ich. "Trinken musst du, jede Menge
trinken", sagt meine Mutter, "immer, wenn ich was an der Blase habe, trinke ich andauernd, meine Abwehrkräfte sind in Ordnung, aber deine nicht, glaube ich, wenn du sowas kriegst, trinkst du denn genug?"
- "Ich trinke andauernd", sage ich. "Hallo!", ruft mein Vater zur Kellnerin,
"eine Flasche Apfelsaft bitte! Apfelsaft ist gut", sagt er.
"Gehst du denn auch immer aufs Klo?", fragt er mich, "absolument immer aufs Klo
gehen soll man, bloß nicht anhalten", wirft meine Mutter ein, "geh doch hier gleich mal aufs Klo, das ist
gut", sagt mein Vater. "Hier geh ich nicht", sage ich,
"ist mir zu eklig". - "Ach wo", sagt mein Vater,
"car c'est pour du bien, man muss ja nichts anfassen, willst du nicht
doch aufs Klo gehen?"
- "Ich war doch bei mir schon auf dem Klo", sage ich. "Aber das ist doch schon etwas
her", sagt meine Mutter. "Ich kann ja nicht dauernd aufs Klo
gehen", sage ich. "Dann trinkst du auch nicht genug", sagt mein Vater.
"Mäxe", sagt meine Mutter zu meinem Vater, "sag ihm, dass er morgen zum Arzt gehen soll, zum Dessauer."
- "Geh morgen zum Arzt", sagt mein Vater, "und trink genug und geh aufs
Klo". Da kommt die Kellnerin mit dem Apfelsaft, meinem Apfelsaft, es ist eine ganze Flasche, denn auf meinen Vater hört man. Sie bleibt am Tisch stehen und will wissen, welches Essen sie bringen soll, und das ist gut, denn das bedeutet, dass jetzt das Thema gewechselt wird.
Ich höre meinem Vater zu, der sich ausführlich Lachs und Tee bestellt, und ich stelle mir den
Familien-Zores vor, wenn ich jetzt etwa Folgendes sagte: Ätsch, meine Blase isses gar nicht, ich habe eine ganz tolle Blase, sondern ich hab mir den Schmock endlich mal richten lassen, musste ja eines Tages sein, ich kann ja nicht immer wie so ein Goj rumlaufen, find ich halt so, es hat hundertfuffzich Tacken gekostet, das geht eigentlich, findet ihr nicht?, und Hannah hat mich oft gefragt, ob und wann, aber über sie rede ich nicht und bekanntlich beschneidet sich so ein Schmock nicht von selber und das muss man halt aushalten und geschrieben
steht's auch und also war ich längst beim Arzt, was wollt ihr denn. - Aber das sage ich nicht, sondern ich trinke meinen Apfelsaft und glaube fest daran, dass in meiner Blase
die Nadeln reißen und stechen, aber ich glaube auch fest daran, dass es ja schon besser
ist. Übrigens muss ich nicht glauben, denn ich weiß, man sitzt entsetzlich im Elysée.
8.
Morgen ist eine Lesung, zu der ich hin muss, unbedingt, und übermorgen Nacht ist eine weitere, bei der ich nicht abwesend sein kann, auf keinen Fall, kann ich nicht, und in der Galerie Morgenland soll ich selber
vorlesen und bei Regina lese ich nächste Woche diesen Schmocktext - und was soll ich sagen, seitdem ich diesen Schmocktext schreibe, ist irgendwas
besser geworden, was auch immer, aber es ist besser, und so bald ich ihn
vorlesen werde, wird etwas Anderes oder das Selbe oder was auch immer besser sein, denn das muss so sein und logisch ist es dazu, denn Schreiben und das Geschriebene
vorzulesen sind Steigerungen und das Besserwerden auch.
Sonst ist Glauben ja nicht sehr relevant, aber jetzt ist nicht sonst, und davon abgesehen werden die Dinge besser, das müssen
sie, egal, ob man das nun glaubt oder was auch immer, und Hannah würde mir das ähnlich sagen, aber ich denke nicht, dass ich das glauben muss.
(à suivre)
[Soundtrack zur Geschichte: ->
Da klixen]
Galathea und der Name des Bratens
(2003)
London, Lower Brook street, Mayfair, 5. Juni 1732, 5 Uhr P.M.
Oh the pleasures of the plains, happy nymphs and happy swains, sport and dance the hours away! So sollten sie singen, heute Abend, und das möglichst schön und komplett bitte. Es war weder schön noch komplett. Frideric merkte, wie er schwitzte, riss sich die Jacke runter, es krachte im Stoff, Brokat, ach was soll's, und die Klamotte knallte auf den Notenstapel auf dem Boden. Staubwolken wallten hoch. Molly hatte da wieder nicht saubergemacht. Und wenn schon. Frideric packte den Schreibtisch mit beiden Fäusten und hob ihn hoch. Das Möbel ächzte. Swift hatte es ihm vor ein paar Jahren geschenkt. Französisch. Was sonst. Frideric stand so da, in seinem Arbeitszimmer, den Schreibtisch in den Fäusten, Bücher rutschten, Notenblätter schlackerten, und drin krachte was. Er hatte Lust, das Ding einfach an die Wand zu knallen. Wäre schade drum. Er stellte den Schreibtisch wieder hin, vorsichtig, denn drin krachte es wieder, es war wohl das Holz. Französisches halt. Frideric ächzte ein bisschen, wischte sich den Schweiß ab, sah den Staubkörnchen nach. Sie zogen langsam durch den Sonnenstrahl. Irgendwie wie die
pleasures of the plains. By Jove, es war nach 5 Uhr, und am Abend mussten die fertig sein. Mussten. Die ganze Oper. Über zwei Stunden, mit Reprisen glatte drei. Aufführung ist Aufführung und pleasure ist pleasure. Die Leute warteten drauf. Alles schon seit
Wochen ausverkauft. Es musste gut werden, es musste groß werden, es musste die Oper der Opern werden. Wegen der Musik natürlich, und weil Frideric es immer so machte. Und damit dieser Rattenmolch von einem Impressario, der Thomas Arne hieß, es so heftig und gemein auf den Deckel bekam, wie er's verdiente. Also musste heute alles perfekt fertig werden, Frideric musste Ideen haben, mehr Ideen haben, Noten setzen, mehr Noten setzen, abschreiben lassen, mehr abschreiben lassen, und drüben am Haymarket kurz proben. Verdammt, der Eingangs-Chor fehlte fast ganz, und der
Höhepunkt gegen Ende, der fehlte völlig ganz, und eine Idee dafür fehlte Frideric erst Recht. Da war ja viel zu wenig Platz auf seinem Schreibtisch. So eine Oper brauchte Raum, je schneller die Noten, desto mehr Raum, denn wenn nicht, würden die Musiker vom Haymarket Theatre ihn heute Abend töten und hätten verdammt Recht damit.
Frideric fegte den Kram runter, Bücher, vollgekrakelte Notenblätter, die Bronzebüste vom König, den aufgeschlagenen Ovid, das ganze Zeug. Dann sprang er zum Fenster und riss es auf, weit, Luft.
Draußen auf der Lower Brook street sang der Indier, den sie Candyeman nannten, seine Melodie. Frideric lehnte sich auf die Brüstung und horchte. Schön. Es hallte durch die Straße. Eine weiche Stimme, der Candyeman sang gar nicht übel, präzise und nicht schleppend, aber zu weich, leider nichts für die Oper. Trotzdem, der konnte was.
Wahrscheinlich wusste er das selber nicht. Frideric überlegte, ob er ihn morgen zu einer
heißen Schokolade hereinbitten sollte, vorausgesetzt, heute Abend am Haymarket ginge alles gut. Wenn nicht, müsste er sich noch heute Nacht verkriechen, am besten irgendwo auf dem Land, bei Samuel Johnson, der hatte eine verschwiegene Cottage draußen. Das wäre eine Gelegenheit, um mit Johnson ein paar Flaschen alten Sherry zu leeren. Der Gedanke an ein Cottageleben nach dem Chaos des Haymarket Theatre und der Gesang von draußen machten Frideric ein bisschen ruhiger, und der Theaterkrach bekam etwas von Alltag. Was sang der Candyeman eigentlich?
"Come, ye sons and buy some sweet, for sun and brain and belly meet!"
Frideric spürte es wie einen Humpen randvoll mit heißem Sherry. By Jove, genau. Gott oder wem auch immer sei Dank.
Er stürzte an den Schreibtisch, riss sich die Weste runter, tunkte die Feder ein, dass die Tinte spritzte, und schrieb los, Noten ohne abzusetzen, wird keiner lesen können, egal, wird später korrigiert, nur aufs Papier damit. Ein paar Minuten später stand der
Eingangs-Chor. Genau richtig. Der aus Neapel damals, von 1708, klang endlos altmodisch. Weg damit, es gab ihn nicht mehr. Weiter. Die meisten der neuen Arien waren fertig, letzte Nacht unten im Salon schnell aber gut zusammengeschrieben, mit der kleinen Simpson auf dem Schoß und Johnson völlig betrunken auf dem Canapé
God shave the King grölend, mit seinem Bass, Heidegger hatte die zweite Stimme gefistelt, die anderen Gäste hatten sich amüsiert, die kleine Simpson auf dem Schoß girrte Friedericks Noten nach und improvisierte viel zu viel dazu, wollte wohl den großen Farinelli übertreffen. Elegisch as elegisch can. Die war immer so. Prima nur unter dem Plumeau. Jedenfalls diese zwei Arien girrten noch. Los los, noch mal drüber, das musste sitzen.
Als die Sonne immer tiefer stand, stapfte Friederick verschwitzt die Treppe zum Salon hinunter. Seine Oper Acis and Galathea war fast fertig, die ganz neue Fassung, ja die beste von allen, nur gegen Ende fehlte immer noch der Höhepunkt, das verdammte Duo, wo Polifemo den armen Acis tötet. Da musste noch irgendwas - ein Bruch? Etwas Brutales wie auf dem Theater? Aber nicht mit dem Holzhammer, gut musste es sein, subtil aber gemein, so, dass die Ladies heute Abend in Tränen ausbrechen sollten, und die Gentlemen ebenso. Dafür war er, Frideric, schließlich da. Aber jetzt brauchte er ein paar Minuten Pause, sonst wurde das doch nichts.
Unten im größten Sessel hockte Alexander Pope und guckte böse wie gewohnt. "Good day, Alex", sagte Frideric und streckte sich, "sag mir, was fühlt Polifemo, als er Acis
tötet?" Pope guckte noch böser. "Ach, immer noch der Ovid. Lies endlich Horazen, Fred, und gib zu, dass du viel an deine Aktien denkst. Was, Polifemo - well, er wird's aus Habgier getan haben. Weshalb sonst." - "Mag sein", sagte Frideric, "aber die Wirklichkeit verkauft sich schlecht. Ich mach nicht in Wahrheit, ich mach in Schweinehälften. Es muss rührend klingen und trotzdem schlimm werden. Oder so." Er klingelte nach dem Butler. "Alfred wird dir deinen ewigen Kaffee bringen und ein paar Roastbeefsandwiches für uns beide, und jetzt mecker nicht, Alex, tu lieber was für mich. Hast du übrigens schon gehört, dass Thomas Arne, der gelackte Rattenmolch, Acis and Galathea auf eigene Rechnung rausgebracht hat? Gestern. Die alte Fassung. Der gehört getötet. Heute Abend am Haymarket, in zwei Stunden, kommt meine neue Fassung, die muss die Leute von den Stühlen reißen, oder alles ist aus. Aber da ist noch der Moment, auf den es ankommt, Alex, vorher ist alles schön, die Nymphen trällern, Acis sehnt sich nach seiner Galathea, und dann, Polifemo tötet Acis, eben hier. Das muss in einer Viertelstunde fertig sein, und sofort die Noten zu den Kopisten rüber, sonst Gnade mir Gott oder wer auch immer. Jedenfalls danach geht es poetisch und pantheistisch weiter, da stimmt's schon. Rattenmolch Arne wird jeden verdammten Sixpence verlieren, den er da reingesteckt hat. Töten. Aber dieser Moment, wenn Polifemo -."
Pope öffnete den obersten Knopf seines Jabeaus und überlegte. "Fred, by Jove, du weißt noch, wie Swift neulich
auf dem Theater herumgeschrieen hat?
I cannot cannot bear, I cannot cannot bear, I cannot cannot bear. Ich vermute und fürchte, es könnte ihm sogar gefallen, wenn dein Polifemo seine Worte sänge, so abrupt und tief aus der Kehle, wenn er sich
in seinem Zustand überhaupt daran erinnert, und sein Geschrei
fury!, rage!, dispair!, wenn das Polifemo schreit, wie klänge das..." Frideric schrieb schon los, auf Zettel, mit dem Stück Rötel für den Notfall. Wunderbar. Das wurde ja etwas. Pope, der Dämon. Danke, alter Popendämon. Dann gleich rüber zu den Kopisten mit dem ganzen Notenpapier, dann rüber ins Haymarket und die Bande zwingen, das und genau das zu singen, so, wie's dastand. Ach und gleich die Prachtperücke mitnehmen und ein frisches Hemd oder besser zwei. Doch, das wäre zu schaffen, by Jove, alles im Griff.
[Den Moment anhören:->
Da klixen!]
Es war spät am Abend, die Fenster schimmerten, London wurde nie dunkel, und das Haymarket Theatre leuchtete von
zweitausend Kerzen. Leute strömten heraus, jubelnd, Frideric kam auch heraus, aber nicht zu Fuß, denn vier Burschen trugen ihn über Kopf. Frideric strahlte, die Leute strahlten, was für ein Lärm, Hüte flogen, Gentlemen schrieen Komplimente, Ladies schluchzten und lachten. Hinten sangen die Leute von den
Stehplätzen im Chor das Duett Happy we nach, den Ohrwurm, dafür war der da. Frideric dröhnte der Jubel im Schädel und er merkte plötzlich, wie aufgelöst und glücklich er war, und wie das Tier Namens Hunger in seinem Bauch wütete. Alles war gut, die
Musiker hatten ihr Äußerstes gegeben, sogar die Rossini war über ihren Schatten
gesprungen, einfach göttlich, sie hatte das hohe Es herausgeschmettert, obwohl's gar nicht da stand, da hinten im Eingang warf sie die Arme hoch, wurde von Hunderten bejubelt. Und auch die Einnahmen waren beträchtlich. Bestens. Das musste mit dem Ensemble verrechnet und der Rest in Aktien angelegt werden. Morgen. Jetzt musste er
etwas essen. Etwas Riesiges, Köstliches, Bombastisches. Sonst würde er noch wie Swift enden. Der aß nie was. Wie ungesund war das.
Frideric bat die Burschen, ihn hinunter zu lassen, grüßte in die Menge, packte Johnson, Pope, Heidegger, die Burschen und die Musiker, die gerade in der Nähe waren, und schob sie alle nach Hause zur Lower Brook street. Da stand der indische Candyeman und sang. Den packte Frideric auch gleich.
Alfred hatte alle Leuchter angezündet und der neue französische Chef de Cuisine, der schon einmal für den Prince of Wales gekocht hatte, bat Frideric in die Küche. Alle Gäste kamen hinterher, es waren viele und es wurden mehr, aber die Küche war riesig, denn so musste es sein. Über dem Feuer drehte sich ein mächtiger fettiger knuspriger Rindsrücken. Ein ganzer. Der Koch lächelte fettig und knusprig und übergoss den Rindsrücken vorsichtig mit geheimen Ingredienzien. Das Fleisch glänzte. Welch eine Pracht. Wie in der Oper. Der Duft erschlug einen. Auf der Anrichte standen Schüsseln mit Salaten und Früchten, dampfende Saucièren, Kapaune brieten vor sich hin, Gemüse siedete in Töpfen. Friderics Hunger wütete. "Ain Tournedos führ ainen Könisch, gaanz noiö Rezept, drinön gefült mit Foie Gras, Trüfel von Haute-Savoie und Ajär, nuur führ Oisch, edlör Ssöhr", seufzte der Koch mit kitschigem Accent und blinzelte Frideric zutunlich an.
Frideric war Alles Recht, wenn nur jetzt dieses Tournedos in seinen Bauch käme. Er griff sich ein Wasserglas Sherry von Alfreds Tablett, goss es hinunter und wollte "zu Tisch" rufen, aber die Tür flog auf und eine Erscheinung aus gebauschter Seide, rabenschwarzen Haaren und
Funkelaugen rauschte heran. Die Primadonna Rossini. Man war gebannt und schwieg. Frideric eilte auf sie zu, küsste ihr die Hand und rief, "Majesté, ich schwöre, ich habe noch nie im Leben jemanden so olympisch singen hören wie Euch. Bin für immer Euer Handel." Sein Magen knurrte. Die Rossini musste es gehört haben, sie lächelte und gurrte, "Maestro Handel, Eure olympische Musik zwang mich. Versprecht, dass Ihr in Eurer nächsten Oper -", sie machte eine Kunstpause, und Frideric wollte gerade rufen, "Teuerste, was immer Ihr begehrt, auch in Opern, und nun zu Tisch", aber die Tür flog wieder auf und es drängte sich ein kleiner, etwas zu prächtig gekleideter Mann herein. Thomas Arne, der Rattenmolch. Der hier. Er baute sich vor Frideric auf und zischte: "Mister Handel, ich werde Euch morgen früh vor dem Königlichen Gericht verklagen, Sir, denn Ihr habt heute Abend eine Oper aufgeführt, deren Rechte allein mir..."
Frideric wusste schon die nächste Szene, sie würde ihm Freude machen. Wenn nur sein verdammter Hunger nicht wäre. Also los, töten. Er packte den Geck mit einer Hand am Kragen, mit der anderen am Hosenboden, hob ihn mit Schwung hoch und hielt ihn über sich. Die Gäste standen da und gafften. Frideric rief, "by Jove, nun seht, wir haben heut Nacht hier alles, Braten, Freude, wunderbare Menschen, ja sogar einen Zwerg, der
fliegen kann, meint ihr nicht?" Mr. Arne schrie, aber es nützte ihm nichts. Frideric holte Schwung, warf ihn hoch, Mr. Arne drehte sich schreiend in der Luft, und Frideric fing den Schreihals ganz knapp wieder auf und hielt ihn weiter über sich. Eine
Schnupftabakdose knallte im Parabelflug glitzernd hinten gegen den Schrank. Frideric keuchte ein bisschen, er war aus der Übung, früher hatte er so etwas mit säumigen Schuldnern oder frechen Gläubigern gemacht, im offenen Fenster des zweiten Stocks. Mr. Arne wusste davon und plärrte. Pope rief, "by Jove, ein menschlicher Tournedos!" Die Gäste jubelten, so war es beim Mr. Handel zu Hause, wie auf der Bühne der Beggar's Opera und besser. Weil Frideric diesen Beifall liebte, musste der menschliche Tournedos noch mal sein, als Reprise. Diesmal gelang der Überschlag nicht so gut, Mr. Arne sauste weiter als gewollt, aber Frideric gab dem Bündel im letzten Moment einen Schwung in Richtung Apfelkasten. Mr. Arne landete krachend wie eine abgetakelte Schaluppe in den Händen der Riesen von Brobdingnag. Rasender Beifall, Frideric brannte es in der Schulter, aber ließ sich nichts anmerken, die Primadonna Rossini trällerte Laute des Entzückens, der Candyeman sang
God save the King, Pope schüttete sich aus vor Lachen, Johnson verschluckte sich. Nur der Koch hatte sich verängstigt hinter den Rindsrücken verzogen, und Mr. Arne steckte noch im Apfelkasten und sagte nichts.
Jetzt hielt Frideric den Hunger nicht mehr aus. Er rief, "nun haben die Wunder ein
Ende, es naht ein größeres, viel größeres, nämlich dieser elefantöse Rindsrücken, ein noch nie erblicktes und noch nie verspeistes Mysterium, freilich nur bis jetzt in dieser Nacht. Ihr seht und riecht den allerköstlichsten Tournedos diesseits der Apenninen. Ein ganz neues, noch nie geschmecktes Rezept. Ich nenne es hiermit zu Ehren der wunderbaren Galathea dieses Abends, die wir alle lieben, Tournedos Rossini."
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...Georg Friedrich Händel (später George Frideric Handel) wurde 1685 in Thüringen geboren, ging früh nach Italien, um sich dort zum glänzendsten Musiker ausbilden zu lassen, den die Welt gesehen hat. Zog nach London, wo er schnell Engländer wurde und 1759 berühmt, reich und zufrieden starb. Komponierte
zahlreiche Opern, Oratorien, Konzerte, Kammermusik, Orgelwerke, Anthems,
Kantaten und noch viel mehr.
- Die Erfindung des Tournedos Rossini wird sonst eigentlich dem italienischen Opernkomponisten
Gioacchino Rossini (1792-1868) zugeschrieben, der viele Hmtata-Opern schrieb, so lange er noch nicht reich und berühmt war. Später, als er es war, hat er nichts mehr komponiert, sondern aß lieber gut und erfand
Kochrezepte. Ein verständliches Laster. - Ich glaube aber nicht, dass er das Tournedos Rossini erfunden hat. Ich glaube, es war Händel
am 5. Juni 1732 Abends in seiner Küche in der Lower Brook street in Mayfair, London, so wie beschrieben. Aber ich
kann's nicht beweisen.
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